Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das falsche Opfer

Das falsche Opfer

Titel: Das falsche Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
Vom Netzwerk:
und
scharfe weiße Zähne versuchsweise an meinem Ohrläppchen knabberten.
    »Al — Liebling?« flüsterte sie
mit kehliger Stimme.
    Der zarte Duft ihres Parfüms
ließ sämtliche Nervenenden meines Körpers vibrieren. »Was ist, Johnny?«
murmelte ich.
    »Ich bin hungrig.« Sie seufzte
leise. »Bitte, können wir nicht machen, daß wir von hier wegkommen und zum
Essen gehen?«
    Das war das Material, aus dem
die großen historischen Lieben gewoben waren — Dante und Beatrice, Romeo und
Julia, Johnny und die nächste Hühnerbraterei . Ich
hätte auf diesem einen Ohr Taubheit vorgeschützt und alles ignoriert, wenn
diese Kannibalenzähne nicht zunehmend nachdrücklicher
an meinem Ohrläppchen geknabbert hätten.
    Ich nahm sie mit zum Essen ins Enchantment , wobei ich mühsam vermied, an die
beiden letzten Wochen des Monats zu denken, in denen ich ohne Nahrung würde
auskommen müssen. Als wir bei Kognak und Kaffee angelangt waren, begriff ich
völlig, wie Johnny es fertiggebracht hatte, sich diese wundervollen, mit
Vitaminen vollgestopften Rundungen zu erhalten. Ich hielt ihr ein Streichholz
hin, an dem sie ihre Zigarette entzündete, und sah zu, wie sie sich glücklich
seufzend in ihren Stuhl zurücklehnte.
    »Herrliches Essen, Al«, sagte
sie verträumt. »Ich wette, Sie essen immer hier.«
    »Natürlich«, sagte ich lässig.
»Jedes Jahr einmal — ein regelmäßig wiederkehrendes jährliches Ereignis. Die
anderen dreihundertvierundsechzig Tage kratze ich mir mein Essen aus Mülltonnen
zusammen. Das bildet einen erheiternden Kontrast zu all dem hier — Sie wären
überrascht!«
    »He!« sagte sie plötzlich und
setzte sich kerzengerade hin.
    Ich blickte nervös über meine
Schulter zurück. »Was ist? Ihre Tante Charlie, die Verrückte — oder was sonst?«
fragte ich ängstlich.
    »Mir ist eben eingefallen — was
haben Sie heute morgen mit Mr. Irving angestellt?«
    »Nichts«, sagte ich,
entschlossen der Versuchung widerstehend.
    »Sie müssen etwas getan haben«,
sagte Johnny beharrlich. »Mich hat er ja nicht einmal bemerkt — aber nach den
zehn Minuten, die Sie bei ihm waren, ist er den ganzen Tag in kleinen Kreisen
herumgerannt und hat nach allen Windrichtungen dringende Telefongespräche
geführt.«
    »Würden Sie das vielleicht
bitte ins Englische übersetzen, damit ich es verstehen kann?« bat ich
erwartungsvoll.
    »Aber natürlich«, sagte sie
verbindlich. »Er benahm sich so, wie ich ihn eben geschildert habe. Ich habe
ihn noch nie so nervös erlebt. Er telefonierte drei- oder viermal mit seiner
Freundin, und sie unterhielten sich jeweils ungefähr zwanzig Minuten lang.«
    »Seine Freundin?« fragte ich.
    »Sie ist die einzige Frau in
seinem Leben«, sagte Johnny beiläufig. »Aber seine Mutter kann sie nicht sein,
weil sie nicht denselben Namen trägt, und verheiratet ist sie. Er läßt mich
immer zuerst bei ihr anrufen und Mrs. Mitchell Kramer
an den Apparat bitten, und ich habe strenge Anweisung, falls sie weg ist,
auszurichten, der Anruf käme aus einem der Läden, in denen sie ihre Besorgungen
macht. Man sollte nicht glauben, daß ein solches Würstchen wie Irving es so in
sich hat. Nicht wahr?«
    »Wen hat er außerdem noch
angerufen, nachdem ich weg war?« fragte ich.
    »Sie meinen, wen hat er nicht
angerufen«, verbesserte sie mich. »Zwei Luftfahrtgesellschaften und vielleicht
vier oder fünf Schiffslinien. Er muß wirklich scharf auf eine Urlaubsreise
sein, nicht wahr?«
    »Ich werde ihm vielleicht in
Kürze eine verschaffen können«, schlug ich vor, »und zwar alles umsonst — mit
allem Komfort, Unterkunft mit voller Verpflegung, Gelegenheit für körperliches
Training und gelegentlich sogar freie Kinovorstellungen.«
    »Klingt wundervoll«, sagte sie.
»Wo ist denn das?«
    »In St. Quentin.«
    Ihre Unterlippe wölbte sich
vor, und ich begann umgehend, an Gedächtnisschwund zu leiden, ohne im
geringsten etwas dagegen zu unternehmen. Philipp Irving löste sich in Nichts
auf. Der Kellner präsentierte die Rechnung und nahm im Austausch für etwa vier
Tage Gehalt mit.
    »Wollen Sie wieder in die
Wohnung meiner Tante zurückgehen, Al?« fragte Johnny interessiert. »Oder sollen
wir Ihre HiFi-Anlage in Betrieb setzen und mich durch alle fünf Lautsprecher
gleichzeitig einlullen lassen?«
    »Warum versuchen wir’s nicht
erst mit meiner Wohnung?« sagte ich sachlich, »Wenn uns der HiFi langweilt, können wir noch allemal zu Ihnen hinübergehen.«
    »Sie denken an alles«, sagte
sie bewundernd.

Weitere Kostenlose Bücher