Das falsche Urteil - Roman
Berben.«
13
»Willkommen im Club«, sagte Rooth.
DeBries ließ sich auf den Stuhl sinken und steckte sich eine Zigarette an. Rooths Augen brannten sofort vom Rauch, aber er beschloss, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
»Wenn der Kollege mich freundlicherweise informieren würde«, sagte deBries. »Langsam und klar verständlich, wenn ich bitten darf. Ich habe die ganze Nacht wach in einem Auto gesessen und ein Haus bewacht.«
»Und ist was dabei herausgekommen?«, fragte Rooth.
»Aber sicher«, sagte deBries. »Das Haus steht noch. Wie lange züchtest du das eigentlich schon?«
»Was denn?«
»Das da in deinem Gesicht ... das erinnert mich an etwas, aber mir fällt nicht ein, an was. Doch, jetzt hab ich’s. Pat Boone!«
»Wovon redest du da, zum Teufel?«
»Von meinem Meerschweinchen natürlich. Das ich als kleiner Knabe hatte. Es wurde krank und verlor sein Fell. Kurz vor seinem Tod sah es ungefähr so aus wie du.«
Rooth seufzte.
»Spitze«, sagte er. »Wie alt bist du?«
»Vierzig, aber ich komme mir vor wie achtzig. Wieso?«
Rooth kratzte sich nachdenklich unter den Achseln.
»Ich wüsste gern, ob du dich an den Beatricemord erinnerst, oder ob du schon damals zu klein und dumm warst!«
DeBries schüttelte den Kopf.
»Tut mir Leid«, sagte er. »Vielleicht sollten wir jetzt loslegen. Nein, an den Beatricemord kann ich mich nicht erinnern.«
»Ich weiß das noch verdammt gut«, sagte Rooth. »Ich war zehn oder elf ... 1962, meine ich. Las jeden Tag darüber in der Zeitung, in den Monaten, in denen so viel davon die
Rede war. Oder in dem Monat. Wir sprachen in der Schule darüber, im Unterricht und in den Pausen, ja, das ist eine der klarsten Erinnerungen aus meiner ganzen Kindheit.«
»Ich war erst acht«, sagte deBries. »Zwischen acht und zehn besteht ein großer Unterschied ... und ich habe auch nicht hier gewohnt. Aber nachher habe ich natürlich darüber gelesen.«
»Mm«, murmelte Rooth und blies eine Rauchwolke zurück. »Es war so eine seltsame Stimmung ... ich weiß noch, dass mein Vater zu Hause am Mittagstisch über diesen Leopold Verhaven gesprochen hat. Er sprach sonst nur selten über solche Dinge, deshalb wussten wir, dass es etwas ganz Besonderes sein musste. Alle haben sich für diesen Mord interessiert. Wirklich alle, glaub mir!«
»Das habe ich schon begriffen«, deBries nickte. »Kleine Hetzjagd, war das nicht so?«
»Klein war die wirklich nicht«, sagte Rooth.
DeBries ging zum Waschbecken und drückte seine Zigarette aus.
»Erzähl von Anfang an«, sagte er.
Rooth krempelte die Hemdsärmel auf.
»Auch die Sportgeschichte? Du weißt, dass er in den Fünfzigern ein hervorragender Läufer war?«
»Ja«, sagte deBries. »Aber nimm zuerst die Morde.«
Rooth blätterte einige Seiten in dem Schreibblock zurück, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag.
»Alles klar«, sagte er. »Wir fangen mit dem 16. April 1962 an. An diesem Tag meldet Leopold Verhaven bei der Polizei seine Lebensgefährtin als vermisst. Beatrice Holden. Er hat sie bereits seit zehn Tagen nicht mehr gesehen, sie leben seit etwa anderthalb Jahren zusammen ... in diesem Haus in Kaustin. Unverheiratet, kann man vielleicht hinzufügen.«
»Weiter«, sagte deBries.
»Ungefähr eine Woche später wird sie zwei Kilometer vom Haus entfernt ermordet im Wald aufgefunden. Die Polizei
bietet alle Kräfte auf und langsam richtet sich der Verdacht auf Verhaven selber. Es gibt allerlei Zeichen, die in diese Richtung weisen, und Ende April wird er festgenommen und unter Mordanklage gestellt. Und bald wird der Prozess eröffnet.«
»Sein Name wurde von Anfang an genannt, war das nicht so?«
»Sicher. Die Zeitungen brachten den Namen im Zusammenhang mit dem Verschwinden – er war trotz allem ziemlich bekannt – und danach sahen sie keinen Grund, damit aufzuhören. Wenn ich mich nicht irre, dann wurde damals zum ersten Mal in unserem Land der Name eines Verdächtigen veröffentlicht, vielleicht hat das auch dazu beigetragen, dass die Sache solche Ausmaße annahm. Ich glaube, die Zeitungen haben jedes Wort gedruckt, das während der Verhandlung vor Gericht gefallen ist ... und die Journalisten – aus dem ganzen Land, ja, die ganze Bande hat unten am Kongers Platz gewohnt und jeden Abend Hof gehalten ... auch sein Verteidiger war dabei. Quenterran hieß er, komischer Name. Es war der erste Massenmedienmord, könnte man sagen. Muss grauenhaft gewesen sein, aber das habe ich damals nicht begriffen. Ich
Weitere Kostenlose Bücher