Das falsche Urteil - Roman
kein anderer sein kann, muss es doch Verhaven getan haben!
Man konnte nur hoffen, dass sich Polizei und Anklagebehörden Frau Gellnachts Überlegungen nicht gar zu sehr zu Eigen gemacht hatten. Es wäre sicher eine gute Idee, sich davon ein Bild zu machen. Wie sah es eigentlich mit den technischen Beweisen aus? Hatten die ihn am Ende den Kopf gekostet, wenn er wirklich so hartnäckig alles geleugnet hatte?
DeBries hatte keine Ahnung.
»Was meinst du?«, fragte er.
»Sieht doch sonnenklar aus«, meine Ewa Moreno. »Vielleicht ein wenig zu sonnenklar. Nehmen wir uns jetzt Moltke vor?«
19
»Verhaven verhaftet! Sensationelle Entwicklung im Fall Beatrice!«
Der Artikel bedeckt die gesamte Vorderseite des Neuen Blatts vom 30. April 1962. Van Veeteren trank einen halben Becher Wasser und fing an zu lesen.
Hat Leopold Verhaven seine Lebensgefährtin Beatrice Holden umgebracht?
Auf jeden Fall glauben der Ermittlungsleiter im landesweit bekannten Kaustinmord, Kommissar Mort,
und Staatsanwalt Hagendeck guten Grund zu diesem Verdacht zu haben. So guten sogar, dass sie gestern einen Haftbefehl gegen den damaligen Läufer der Nationalmannschaft erwirkt haben. Hagendeck wollte sich während der Pressekonferenz nicht über die Gründe äußern, ging jedoch davon aus, dass nach der festgesetzten Untersuchungshaft von zwölf Tagen Anklage erhoben werden wird.
Ob neue Entdeckungen oder Beweise vorliegen, die Licht in diese düstere Angelegenheit bringen können, wollten während der gestrigen Pressekonferenz auf der Maardamer Wache weder Polizei noch Anklagebehörden weiter ausführen. Leopold Verhaven hat außerdem offenbar kein Geständnis abgelegt. Sein Anwalt, Pierre Quenterran, erklärte, sein Mandant habe mit dem Mord nichts zu tun, und hielt die Festnahme für eine Folge der vielen Artikel und Spekulationen über diesen Fall.
»Die Polizei ist verzweifelt«, erklärte Quenterran der versammelten Presse. »Die Öffentlichkeit und ihr fest gefügtes Gerechtigkeitsbewusstsein fordern ein Ergebnis, und statt seine Inkompetenz zuzugeben, hat der Ermittlungsleiter nun einen Sündenbock ernannt...«
Kommissar Mort bezeichnet Anwalt Quenterrans Aussage als »puren Unfug«.
Kann ich mir denken, dachte Van Veeteren und griff zur nächsten Fotokopie, die aus derselben Nummer des Neuen Blatts stammte, jedoch einige Seiten weiter hinten erschienen war. Hier wurde der Hintergrund kurz skizziert, die Ereignisse vom »traurigen Anbeginn« an wurden zusammengefasst, wie der Autor der Zeilen sich ausdrückte.
6. April:
Ein Samstag mit Sonne und warmem Wind. Am frühen
Morgen macht Leopold Verhaven sich wie immer auf den Weg nach Linzhuisen und Maardam und kehrt erst am späten Nachmittag nach Hause zurück. Beatrice Holden ist inzwischen verschwunden, wie Verhaven selber aussagt, doch er nimmt an, sie sei »einfach irgendwohin gefahren«. Nach diesem Zeitpunkt hat niemand die Verschwundene mehr gesehen. Einige Nachbarn haben sie am Samstagvormittag auf dem Heimweg beobachtet, einige Stunden nach Verhavens Aufbruch. Am Morgen hat sie ihre Mutter und ihre Tochter unten im Ort besucht. Nichts weist darauf hin, dass sie danach ihr Haus freiwillig und mit irgendeinem bestimmten Ziel verlassen hat.
Freiwillig und mit irgendeinem bestimmten Ziel, dachte Van Veeteren. Was für ein Stilist!
16. April
Verhaven meldet bei der Polizei, dass seine Lebensgefährtin seit einer guten Woche verschwunden ist. Warum er so lange mit dieser Meldung gewartet hat, will er nicht kommentieren. Er glaubt jedoch nicht, dass ihr »etwas Ernsthaftes widerfahren sein kann«.
22. April
Beatrice Holdens Leichnam wird nur anderthalb Kilometer von Verhavens Haus entfernt von einem älteren Ehepaar im Wald entdeckt. Die Tote ist nackt und wurde vermutlich an der Fundstelle erwürgt.
22. – 29. April
Ein großes Polizeiaufgebot untersucht den Todesfall. Genaue technische Analysen werden durchgeführt und an die hundert Personen, vor allem in der Gemeinde Kaustin, werden befragt.
30. April
Leopold Verhaven wird unter dem Verdacht auf Mord oder Totschlag an seiner dreiundzwanzig Jahre alten Lebensgefährtin verhaftet.
Damit war Schluss. Van Veeteren legte das Papier unten in den Stapel und schaute auf die Uhr. Halb zwölf. Wäre es nicht bald Zeit für das Mittagessen? Zum ersten Mal, seit er nach der Operation aufgewacht war, hatte er ein wenig Hunger. Das musste doch ein gutes Zeichen sein.
Und auf jeden Fall schien alles nach Plan zu
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