Das falsche Urteil - Roman
die er ermordet hat... Marlene Nietsch.«
»Wo sind Sie vorbeigekommen?«
»Verzeihung?«
»Sie sagen, Sie seien vorbeigekommen. Ich möchte wissen, wo Sie sich befanden, als Sie sie gesehen haben.«
Sie räusperte sich.
»Ich ging über den Bürgersteig an der Zwille entlang. Ich habe sie ein Stück entfernt im Kreugerlaan gesehen...«
»Woher wussten Sie, dass es diese beiden waren?«
»Ich habe sie natürlich erkannt.«
»Vorher oder nachher?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wussten Sie, dass es sich um Leopold Verhaven und Marlene Nietsch handelte, als Sie sie gesehen haben, oder ist Ihnen das erst später aufgegangen?«
»Später erst, natürlich.«
»Sie kannten die beiden also nicht?«
»Nein, gar nicht.«
»Wie weit waren Sie von den beiden entfernt?«
»Achtzehn Meter.«
»Achtzehn Meter?«
»Ja, achtzehn.«
»Woher wissen Sie das?«
»Die Polizei hat die Entfernung ausgemessen.«
»Wie waren die beiden gekleidet?«
»Er trug ein blaues Hemd und Jeans. Sie eine braune Jacke und ein schwarzes Kleid.«
»Keine besonders Aufsehen erregende Kleidung.«
»Nein. Warum hätte sie Aufsehen erregend sein sollen?«
»Weil es leichter ist, Leute wiederzuerkennen, wenn es auffällige Details gibt. Gab es solche Details?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Wie sind Sie mit der Justiz in Kontakt gekommen?«
»In den Zeitungen wurde zur Mitarbeit aufgerufen.«
»Ach. Und Sie haben sich gemeldet?«
»Das hielt ich für meine Pflicht.«
»Wie viel Zeit war inzwischen vergangen... ungefähr, meine ich?«
»Ein Monat... oder höchstens anderthalb.«
Van Veeteren brach den Zahnstocher ab.
»Sie glauben also, sich an zwei Menschen erinnern zu können, die neben einem Auto standen und miteinander redeten ... nach sechs Wochen?«
»Ja.«
»An Ihnen unbekannte Menschen?«
»Natürlich.«
»Hatten Sie einen besonderen Grund, sich diese beiden zu merken?«
»Na ja... nein.«
»Wie spät war es?«
»Verzeihung?«
»Um welche Uhrzeit sind Sie durch die Zwille gegangen und haben die beiden gesehen?«
»So gegen sieben bis acht Minuten vor zehn.«
»Woher wissen Sie das?«
»Doch, das war die Uhrzeit. Was ist daran so seltsam?«
»Haben Sie damals auf die Uhr geschaut?«
»Nein.«
»Wohin waren Sie eigentlich unterwegs? Hatten Sie einen Termin oder so etwas?«
»Ich war einkaufen.«
»Ich verstehe.«
Er legte eine Pause ein und ließ sich im Sessel so weit zurücksinken, dass seine Füße vom Boden abhoben. Für einen Moment kam er sich fast schwerelos vor.
Gibt es denn keinen Hebel, der mich in die Atmosphäre zurückbringt, dachte er verwirrt, aber bald hatte er die Kontrolle über sein Fahrzeug zurückgewonnen.
»Frau Klimenska«, sagte er, als er wieder Kontakt zu Schreibtisch und Boden hatte. »Erklären Sie mir das doch ... so langsam und klar verständlich, wie Sie nur können.
Ich bin manchmal ein wenig begriffsstutzig. Ein Mensch ist auf Grund Ihrer Aussage wegen Mordes verurteilt worden. Er hat zwölf Jahre im Gefängnis gesessen. Zwölf Jahre! Wenn Sie sich nicht gemeldet hätten, dann hätte er sehr gut freigesprochen werden können. Sagen Sie mir jetzt, wie, zum Teufel, Sie so sicher sein können, dass Sie am Freitag, dem 11. September 1981 um siebeneinhalb Minuten vor zehn Leopold Verhaven und Marlene Nietsch ins Gespräch vertieft im Kreugerlaan gesehen haben. Wie?«
Elena Klimenska setzte sich gerade und erwiderte seinen Blick, ohne auch nur für einen Millimeter auszuweichen.
»Weil ich sie gesehen habe«, sagte sie. »Was den Zeitpunkt angeht, so ist es doch der einzig Mögliche. Er ist um zehn losgefahren, und um zwölf vor standen sie an der Ecke.«
»Sie haben Sie also nicht an der Ecke stehen sehen?«
»Natürlich nicht.«
»Bravo, Frau Klimenska. Sie wissen das ja alles ganz genau, das muss ich sagen. Aber es ist ja auch erst dreizehn Jahre her.«
»Wie meinen Sie das?«
»Haben Staatsanwalt oder Polizei Ihnen bei der Uhrzeit geholfen?«
»Beide natürlich. Weshalb...«
»Danke«, fiel Van Veeteren ihr ins Wort. »Das reicht. Nur noch eine Frage. Gab es noch andere Zeugen, die Ihre Aussage bestätigen konnten?«
»Ich verstehe nicht.«
»Jemanden, den Sie gerade verlassen hatten, zum Beispiel ... oder dem sie um fünf vor zehn über den Weg gelaufen sind, vielleicht?«
»Nein. Wozu hätte das auch gut sein sollen?«
Van Veeteren gab keine Antwort. Er trommelte leise mit den Fingern auf der Tischkante herum und schaute durch einen Spalt im Rollo hinaus auf
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