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Das falsche Urteil - Roman

Das falsche Urteil - Roman

Titel: Das falsche Urteil - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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Erdgeschoss. Eine schmale, knarrende Treppe, die von der einen Quadratmeter großen Diele zu einer Mansarde führte, die gefüllt war mit alten Zeitungen, Kisten, ausrangierten Möbeln und anderem Schrott. Der schwache Geruch von Ruß und sonnenwarmem Staub hing unter den Dachsparren. Er nieste zweimal. Ging wieder in die Küche hinunter. Betastete den großen eisernen Herd, als rechne er damit, dass der noch warm wäre. Betrachtete die schlechten Reproduktionen der fast ebenso schlechten Originallandschaften, die über dem Sofa hingen. Ging ins Wohnzimmer. Zwei zerbrochene Fensterscheiben. Ein Büfett. Ein Tisch mit vier ungleichen Stühlen. Ein Sofa und ein Fernseher im klassischen Format der fünfziger Jahre. Ein baufälliges Bücherregal mit anderthalb Metern Bücher, die meisten billige Krimis und Abenteuerromane. Rechts neben dem offenen Kamin hingen ein Spiegel und ein gerahmtes Schwarz-weiß-Foto eines Läufers, der über die Ziellinie rennt und das Gesicht verzerrt, fast schon leidend sieht er aus. Zuerst hielt er diesen Mann für Verhaven selber, doch als er sich das Bild genauer ansah, sah er den Namenszug und erkannte ihn dann auch: Emil Zatopek. Die tschechische Lokomotive. Den Selbstquäler. Den Bezwinger der Schmerzgrenze.
    War das Verhavens Ideal gewesen?
    Oder war es einfach ein Zeichen der Zeit? Zatopek war
der Läuferkönig der fünfziger Jahre gewesen, wenn Van Veeteren das nicht falsch in Erinnerung hatte. Oder einer von den Königen zumindest.
    Er verließ das Wohnzimmer. Überschritt die Schwelle zum Schlafzimmer und blieb vor dem Doppelbett stehen, das trotz seiner ziemlich züchtigen Maße fast den ganzen Raum einnahm.
    Wieso eigentlich Doppelbett? Aber natürlich hatte Verhaven ab und zu Frauen gehabt. Vermutlich waren sie nicht alle ermordet worden. Oder vielleicht doch?
    »Hast du dich hier hingelegt?«, murmelte Van Veeteren und suchte nach einem neuen Zahnstocher. »Konntest du eine Nacht in Freiheit schlafen oder hat er dir nicht einmal das gegönnt?«
    Er verließ das Schlafzimmer.
    Was, zum Teufel, mache ich eigentlich hier, dachte er plötzlich. Was bilde ich mir eigentlich ein, was das helfen soll, dass ich hier herumschnüffele ... und selbst, wenn mir das endlich eine Vorstellung davon gibt, wer Verhaven wirklich war, dann bringt mich das doch wohl keinen Zentimeter näher an die Antwort heran?
    An die Antwort auf die Frage, wer ihn ermordet hat, nämlich.
    Müdigkeit überkam ihn und er setzte sich an den Küchentisch. Er schloss die Augen und betrachtete das gelbe Flimmern, das von rechts nach links an ihm vorbeizog. Immer von rechts nach links, er hätte gern gewusst, was die Ursache sein könnte. Er war vor diesen Schwächeanfällen gewarnt worden, aber er hatte sich nicht klargemacht, dass ihm dabei fast die Knie nachgeben könnten, weil sie so stark waren.
    Er stützte den Kopf in die Hände. Man muss auf alle wichtigen Gedanken scheißen, wenn der Körper nicht so richtig will, sagte Reinhart oft. Dann macht man besser ganz und gar dicht, denn sonst kommt nur Dreck dabei heraus.

    Ungewöhnlich scheußliche Wachstuchdecke, stellte er deshalb fest, als er die Augen wieder öffnete. Aber auch irgendwie vertraut. Hatte Tante K. nicht so eine, in den Sommern zu Beginn der Fünfziger?
    Draußen in dem sonnenheißen Bootshaus, wo man die Wellen unter den Bodenbrettern schlagen hören konnte? Ziemlich weit vom Großen Schatten entfernt, im Raum wie in der Zeit, aber vermutlich hatte damals irgendwann Verhaven seinen Vater in Kaustin verlassen, um sich auf eigene Füße zu stellen.
    Vor vierzig Jahren oder so ungefähr.
    Und danach war es so gekommen, wie es eben gekommen war.
    Das Leben, dachte Van Veeteren. Was für eine verdammt willkürliche Geschichte.
    Oder war es das nicht? Wie sah es mit Mustern und Linien aus?
    Und mit der Determinante?
     
    Münster stützte sich auf den alten Grabstein und schaute auf die Uhr.
    Zehn nach zehn. Eine innere Stimme forderte ihn immer wieder dazu auf, sich ins Auto zu setzen und sofort zum Großen Schatten hochzufahren. Der Kommissar war seit über einer Stunde dort oben allein, frisch operiert, schwach und in schlechter Form; und deshalb war es unverantwortlich, nicht ein wachsames Auge auf ihn zu halten.
    Aber es gab auch noch andere Stimmen. Van Veeteren hatte zwar nur eine Stunde in einsamer Majestät gefordert, aber andererseits hatte er die Grenze auf halb elf festgesetzt. Münster konnte entweder zu früh oder zu spät kommen. Ein

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