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Das Familientreffen

Das Familientreffen

Titel: Das Familientreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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brachte. Jetzt, an diesem Sonntagmorgen, ergreift sie seine Hand und legt sie auf ihr überstrapaziertes Schambein, damit Wärme und Gewicht der Hand sie wieder beruhigen, irgendwie. Alles schmerzt ein bisschen. Sie finden sich noch nicht so ganz zurecht. Ahnen jedoch bereits, wie es sein wird.
    Das Bett ist aus Mahagoni, mit zwei kleinen Blumengirlanden am Kopfbrett, die zu einer Schleife verschlungen sind. Es ist etwas zu weich – was die Liebenden bei den letzten drängenden Stößen dazu nötigt, sich auf den Fußboden zu legen. Aber es ist der pure Luxus, darin zu liegen, und Ada ist zu Besitz gekommen: ein eigenes Bett, mit eigenen Fläschchen und Wässerchen auf der Kommode und allen ihren Sachen, Büchern und Frühstück um sie herum. Sie ist verheiratet. Sie könnte leben in diesem Bett. Sie kann darin essen und lesen und sich regelmäßig hierher zurückziehen.
    Und wenn das Bett ein Palast für sie ist, dann ist Charlie ihr herrlicher dicker Gast. Sein sandfarbenes Haar glüht geradezu auf dem Rosarot des Federbetts. Es fließt herab und kringelt sich in den Vertiefungen seines Körpers. An den Fußgelenken macht es in gerader Linie halt, und springt dann, wie ein züngelndes Feuer, in kleinen Büscheln von Zeh zu Zeh. Goldenes Haar eilt seinen Bauch hinab. In kleinen Bärtchen hängt es von den Brustwarzen und kräuselt sich unter seinen Achseln. Ada wird seiner niemals überdrüssig: wie es in Wirbeln verläuft, als sei Charlie soeben dem Bad entstiegen – und das größte Amüsement ganz oben, wo sein Kopf blitzsauber gespült ist. Denn Charlie ist völlig kahl.
    Er ist die Art Mann, der eine Melone tragen sollte, aber Charlie ist stolz auf seine Glatze – als Kind nahm er mich immer aufs Knie, damit ich sie streicheln konnte – und geht oft barhäuptig aus, um sie einer Brise auszusetzen. Allerdings trägt er gern einen Schal und neigt dazu, zu brummen und sich zu räuspern, auch dazu, sich auf die Brust zu klopfen, sich den Schal erneut um den Hals zu schlingen und immer wieder die Aufschläge seines Kamelhaarmantels zurechtzuzupfen. Selten sieht man Charlie ohne seinen Mantel. Ein Zimmer füllt er auf eine Art und Weise aus, die einen durcheinanderbringt, denn obwohl er den Eindruck erweckt, klein zu sein – wegen seiner Glatzköpfigkeit, vielleicht auch wegen seiner kurzen, dicken Schenkel -, ist er in Wirklichkeit ziemlich groß, und seine Weigerung, Platz zu nehmen, mag der Sorge entspringen, nirgendwo hineinzupassen. Charlie ist immer nur auf Durchreise. Nie trinkt er eine Tasse Tee. Es scheint so, als habe er etwas mitzuteilen, aber wenn er gegangen ist, lässt sich nur schwer sagen, worin die Mitteilung bestand. Seine Stimme ist tief und eindringlich und sehr angenehm. Die Leute fühlen sich in seiner Gegenwart warm und unsicher, als seien sie um etwas betrogen worden – aber worum? Prüfend betrachten sie ihre Hände, aber es ist ihnen nichts genommen worden, es ist ja nichts da, was man ihnen nehmen könnte. Er ist mithin nicht beliebt – nicht so recht. Charlies Charme ist vollkommen zwecklos. Und niemand weiß, woher er eigentlich stammt.
    Spillane ist ein Name aus Kerry, aber sein Akzent ist englisch mit einem Quäntchen Clare, und all das hat er mit einem Dubliner Idiom vermengt. Wenn man seine gepressten Vokale hört, besteht kein Zweifel, dass er sich anpassen wollte – es sei denn, er wollte sich auf gewisse Weise abheben. Trotzdem, niemand glaubte auch nur ein Wort von dem, was er sagte. Ich erinnere mich, dass ich ihm schon mit acht Jahren nicht über den Weg traute.
    Da war etwas mit einem Pferd (immer war da irgendein Pferd). Da war die Geschichte über Lord Leinster und die endlosen Geschichten über das Shelbourne Hotel und die Geschichte vom Osteraufstand 1916, die er manchmal erwähnte, aber nie wirklich erzählte. »Ach ja, Mr Spillane«, sagt der Mann im Laden und zwinkert mir über die Theke hinweg zu, »das muss in den glorreichen Zeiten gewesen sein.«
    Was hat Charlie mir gekauft? Eine Brause. Natürlich.
    Meine Haut erinnert sich am besten an ihn. Die wohlige Gänsehaut, wenn er sich herabbeugte, um einem etwas zuzuflüstern, seine Schnurrbartstoppeln und sein speckiger Tweed. Er kitzelte einen mit der Vorstellung, dass er etwas in der Hand oder in der Hosentasche versteckt hielt – aber da war nie etwas. Charlie spielte Kümmelblättchen ohne die Trumpfkarte, er liebte einfach nur die große Geste, und nach der großen Geste verschwand er gern.
    Armer Charlie.

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