Das Familientreffen
er es, der sie eingeladen hat, der nach der Messe noch getrödelt und die Möglichkeit des Ausflugs erwähnt hat. Sie würde natürlich ohnehin zum Rennen gehen, deshalb schlägt er ihr nicht so sehr ein Stelldichein als eine Mitfahrgelegenheit vor.
»Sie haben gesagt, Sie würden gern mal Auto fahren«, sagt er und blickt auf den Gehsteig zwischen ihnen.
Sie heftet die Augen auf dieselbe Stelle und hebt die Brauen, um zu fragen: »Kann ich eine Freundin mitbringen?«
So ist Nugent in dieser Geschichte der Liebhaber, Charlie das Transportmittel, Ada ist die Geistererscheinung und Lilith das hübsche Mädchen die gefallene Frau die traurige Hure das arme Waisenkind die Nummer sicher, wie immer man es wendet, und bei ihr ist Ellen, die Charlie Gesellschaft leisten soll und nur ein Dienstmädchen ist.
Nugent und Ada sitzen im Fond des Morris, das Tageslicht steht ihr überraschend gut. In ihren Wangen sammelt sich frisches Blut, ihre Haare flattern im Wind, und er fühlt sich auf törichte Weise unbeschwert dort neben ihr, er fühlt sich, als könne er einfach drauflosreden – ihr verständiges Wesen ist so unkompliziert. So könnte ein Mann mit einer Frau sprechen und sich wie ein besserer Mensch vorkommen, er könnte seine Nachtgedanken und Gewissenskämpfe ganz und gar vergessen, die klaffende Wunde seiner Seele, die sich – in einem Traum oder Wachtraum – in seiner Brust auftut.
Es ist verschwunden, dieses wunderliche Bruchstück, es ist dahingerafft von der festlichen Fahrt in einem Wagen mit offenem Verdeck, der mit jedem anderen Wagen Dublins in einer Kavalkade fährt, nun, da die Fastenzeit zu Ende ist und die Rennen beginnen. Nugents Hand ist ruhig und das Mädchen an seiner Seite so freimütig und poetisch wie ein Tier, und deshalb ist er geborgen. Bei Ada ist er geborgen.
Und so fahren sie dahin – die Navan Road hinauf, vorbei an den Ländereien der Familie Guinness, wo Charlie seinen imaginären Hut lüftet, um einen Toast auf das fabelhafte Getränk auszubringen.
»Hallihallo«, ruft er. »Hallihallo!«
Und jetzt haben sie wirklich Spaß miteinander und singen ein Lied – was es ist? – The Harp that Once , Silent O Moyle -, Lieder, kraftvoll genug, um sie im Freien zu singen. Charlie schmettert sie mit seinem schönen englischen Bariton, besieht sich alles außer der Straße, sodass der Anblick, der sich Ada bietet, der seiner Schulterblätter ist, die, in Fett gebettet, an der Rückenlehne des Sitzes vor ihr ruhen, das Flattern seines Schals, der nach der hinten Sitzenden greift, die Spitzen seines pomadisierten Schnurrbarts, die ihr hin und wieder über seine Schulter hinweg heitere Gedanken an Männlichkeit und Reinlichkeit eingeben und, wenn man sie lange genug betrachtet, an der Innenseite der Oberschenkel ein Kitzeln verursachen.
Aber Ada, da können wir sicher sein, denkt nicht so. Ada hat lange genug unter unseren Unterstellungen gelitten. Sie wendet sich Nugent zu, der über die bevorstehenden Rennen redet, über mögliche Gewinnchancen und über die Notwendigkeit, in dieser ganzen Angelegenheit vom Finanzminister freie Hand zu erhalten, denn jeder riskiert gern mal ein Pfund, das ist das Recht eines Iren wie eines jeden anderen Christenmenschen.
Es ist verblüffend, so viel auf einmal von ihm zu hören. Ada hat das Gefühl, dass Nugent alles, was er sagen will, auf einmal sagt, oder er sagt gar nichts. Er ist ein Mann von der Art, den die Frauen, wie man ihnen damals riet, »aus sich herauslocken« mussten – mit anderen Worten: harte Arbeit und am Ende eine fantastisch leichte Beute.
Aber ebenso gut mag es Mitleid sein, was sie dazu bringt, ihn zu berühren, dort in dem Wagen mit offenem Verdeck. Oder Gedankenlosigkeit. Sie versucht lediglich, seine Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken, aber worauf? Auf Lord und Lady Talbot de Malahide, die den ganzen Tag auf der verkehrten Straßenseite fahren und deren Chauffeur die behandschuhte Hand nicht von der Hupe nimmt. Oder auf etwas weniger Aufregendes, ein Strohpferd auf dem Feld eines Bauern, an dem ein Schild mit der Aufschrift »Hier Getränke« lehnt.
Es könnte eine Antwort auf eine Bemerkung von ihm sein – »Die haben doch sowieso schon alles vermurkst« -, womit er natürlich die Regierung des Freistaats meint, oder eine intimere Bemerkung wie: »Ich persönlich habe nichts gegen ein bisschen Regen.«
Jedenfalls verspürt Ada den Impuls, ihn zu berühren.
Wie wird sie es bewerkstelligen? Sie wird ihren Finger auf seinen
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