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Das Familientreffen

Das Familientreffen

Titel: Das Familientreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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Kinderblick schien das ganze Zimmer sich zu krümmen.
    Hier bin ich, im Alter von drei Jahren, und presse mein Ohr an die beige Metallwand ihrer Waschmaschine oder luge über den Rand der Trommel, um den Wäschestücken zuzusehen, wie sie ruckend hin und her wirbeln: Ada dreht Sachen durch die Mangel ( Fass bloß die Mangel nicht an! ), der letzte Rest Seifenlauge zischt auf, während ein völlig verunstaltetes Kleid zwischen den Walzen erst langsam hervorgleitet, dann herausschießt und wie ein Hundehaufen aus Kunstfaser in einen Eimer fällt.
    Hier bin ich, wie ich Adas Gummibadehaube aufesse, deren gerühmte gelbe Blumen am nächsten Tag in meiner Windel auftauchten. Obwohl – das muss natürlich Kittys Windel gewesen sein, schwerlich meine, mit drei Jahren. Ada rief Charlie herbei, der über ihre Schulter blickte und sagte: »Wo haben wir nur so ein schlaues Mädchen herbekommen?«
    Natürlich war ich auf meine kleine Schwester eifersüchtig, aber ich empfand auch eine ganz besondere, heftige Liebe für sie. So ist es nicht erstaunlich, dass ich ihre Erinnerungen stehle und sie als meine ausgebe. Obwohl, wie ich inzwischen weiß, kein Mann jemals die Hand in eine schmutzige Windel stecken würde, wie ich es Charlie vor meinem geistigen Auge tun sehe, um ein Sträußchen zugekackter gelber Blumen herauszuziehen.
    Hier bin ich, eindeutig ich, und ziehe die Badekappe über mein Gesicht. Ich lecke die salzige Innenseite ab, bis er mich ganz umschließt, der Geruch von Adas Haar im Meer. Dann beginne ich in dem rosa Licht zu ertrinken, das mit weichen Blumen aus leuchtendem Gelb und einem seltsam leuchtenden Schwarz explodiert.
    Ist das wirklich passiert? Die Welt, die schmerzt, da mir die Badekappe entrissen wird, eine Ada außerhalb meiner, die mich ausschimpft. Ich, wie ich an ihre magere Brust gedrückt werde, die nach Lux-Seifenflocken und nach Wolle duftet.
    Wahrscheinlich war es eher Liam, der mir die Haube übers Gesicht zog und mich fast umbrachte. Oder es war Kitty, die von uns beiden erstickt wurde. Die ganze Zeit über spielten wir »ohnmächtig werden«, was die Haube – jene köstliche, fantastisch rosafarbene Badehaube mit den schlaffen gelben Blumen – eher in die Welt einer Achtjährigen verpflanzen würde als in die eines gerade mal drei Jahre alten Mädchens.
    Manchmal suche ich in Läden mit gebrauchter Kleidung nach Dingen wie diesen, denn ich glaube, wenn ich die Haube in der Hand halten, sie dehnen und an ihr riechen könnte, dann wüsste ich, was was und wer von uns drei Kindern wer gewesen ist.
    Als wir das zweite Mal bei Ada wohnten, fuhr uns unser Vater an einem verkehrsfreien Nachmittag – es könnte ein Sonntag gewesen sein – quer durch die Stadt hin, mit Gepäck im Kofferraum. Und damals war ich ganz verblüfft, dass er den Weg wusste.
    An jenen Tagen geschah es, dass mich Stille umhüllte – als ich im Hinterzimmer stand und auf die Garage und das Gässchen blickte. Eine überwältigende Stille, als sei die Luft aus Holz gemacht. Die knollenförmigen Blumen der Tapete krümmten sich ein wenig, dann standen sie vollkommen still unter dem Blick meiner acht Jahre.
    Und – ich weiß nicht, warum das hierhergehört, aber hier ist mein Vater, in der Küche im Griffith Way, etwa vier Jahre später. Er klammert sich an das Holz der Tischplatte, als sei es eine Bibel, und brüllt Liam mit berechnender Stimme die folgenden Worte ins Gesicht: »Ich habe eure Mutter von dem Tag an geliebt, als ich sie das erste Mal sah. Ich habe den Boden verehrt, auf dem sie wandelt.«
    Vermutlich hatte Liam, im Alter von dreizehn Jahren oder so, etwas furchtbar Beleidigendes gesagt. Die Lippen meines Vater waren schmal und dunkelrot, seine Brust arbeitete wie ein Blasebalg und presste sie hervor, eine hohle Phrase nach der andern.
    »Ich habe eure Mutter von dem Tag an geliebt, als ich sie das erste Mal sah. Ich habe den Boden verehrt, auf dem sie wandelt.«
    Währenddessen las Mossie Zeitung, ich verrichtete meine Schularbeiten, und Midge rief etwas, das überhaupt nichts damit zu tun hatte, und machte eine Tasse Tee.
    Er meinte es bestimmt ernst. Mein Vater, der zitterte, kurz bevor etwas geworfen oder zerschmettert wurde. Liam, der ihn vermutlich einen blöden Halbaffen genannt hatte.
    »Du blöder Halbaffe!«
    Und er entwischte, ehe mein Vater ihn zu fassen bekam und ihm eins überziehen konnte.
    Mein Vater war ein kleiner Mann. Und in seiner Brust pfiff und sang es beständig. Und an nichts erinnere

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