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Das Familientreffen

Das Familientreffen

Titel: Das Familientreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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ich mich so genau wie an die Stille, nachdem er Adas Haustür geschlossen, sich auf den Vordersitz des Wagens hatte hinabgleiten lassen und davongefahren war.
     
    Adas kleiner Garten war vermutlich nur ein Hof, aber mit seinen Apfelbäumen und Brennnesseln hielten wir ihn für einen aufregenden Ort: Die Tür zur Garage war mal offen, mal verriegelt, und die Tatsache, dass man nie wusste, ob Mr Nugent sich darin aufhielt, machte sie nur noch interessanter. Liam hantierte mit dem Werkzeug auf der Werkbank oder spielte mit dem Autowrack. Ich saß normalerweise auf dem gesteppten blauen Leder des Beifahrersitzes, das an einigen Stellen gestrafft und an anderen eingerissen war. Ich wollte nicht etwa fahren, das Armaturenbrett war zu ungewohnt. Ich rutschte nur auf dem Polster herum oder wand mich auf den hübschen Ledernähten und redete hochtrabend mit demjenigen, der gerade am Steuerrad saß, gleichgültig, ob da tatsächlich jemand war oder nicht.
    Zwei Doppeltüren führten zu dem hinteren Gässchen, wo ein weiteres Auto aufgebockt war, ein Riesenschlitten in Pastellblau und Chrom mit großartigen amerikanischen Heckflossen. Noch heute kann ich kein ausgeschlachtetes Auto sehen, ohne dass es mir einen Stich versetzt. Mr Nugent kam und ging durch die Türen zum Gässchen, machte sich an der Werkbank zu schaffen oder steckte, wenn das Wetter gut war, seinen Kopf unter die Motorhaube des amerikanischen Monsters. An Freitagen kam er zur Haustür und klopfte an, und stets hatte er Süßigkeiten für uns Kinder dabei. Er trug einen Hut, den er lüftete, wenn Ada die Tür öffnete. Es dauerte viele Jahre, ehe ich mich über die Förmlichkeit dieses Arrangements wunderte, darüber, was eigentlich vorging.
    Ada nannte ihn Nolly, obwohl wir alle wussten, dass man ihn mit Mr Nugent anzusprechen hatte, wenn man ihn überhaupt ansprach, was wir nicht taten. Manchmal nannte sie ihn Nolly May. Sie sagte es, wenn er gegangen war: »Ach, Nolly May«, und rückte den Sessel, in dem er gesessen hatte, wieder an die Wand. Er tat nicht viel, außer herumzusitzen und sich von der Tapete beleidigen zu lassen, aber er war immer leicht verschwitzt und räusperte sich oft, und man konnte sehen, wie sehr er Gran wollte.
    Sie hatte vollendete Manieren, unsere Gran. Sie liebte es, Dinge auf einem Tablett anzurichten. Sie hatte eine ganz eigene Meinung über Würfelzucker und darüber, wo man seinen Keks zwischen zwei Bissen hinzulegen hatte, und all das machte einen richtig verlegen und gab einem das Gefühl, sehr geliebt zu werden. Oben in der Abstellkammer nähte sie Kleider, und manchmal arbeitete sie im Theater, was der Grund dafür war, dass alles so anständig zu sein hatte. Aber zwischen ihr und den Schauspielerinnen, die bisweilen zur Anprobe kamen, hing etwas Verdrehtes in der Luft. Sie schienen etwas auszuwringen, bis das Zimmer – ach, nun sag schon! – mit Anzüglichkeiten aufgeladen war. Obwohl sie, wenn die jeweilige Besucherin gegangen war, das Geschirr wegräumte und mir sagte, die Bühne sorge zwar für ein interessantes Leben, mache einen aber auch bitter. Oder sie gab etwas seltsam Denkwürdiges von sich wie: »Sex bringt nichts in dieser Welt. Denk daran, Sex bringt dir rein gar nichts.«
    Zwar war Charlie oft weg, aber Ada hatte ja uns zur Gesellschaft, und manchmal übernachtete in der Abstellkammer eine der Schauspielerinnen, wenn sie in der Stadt eine Vorstellung hatte. Dann musste sie sich hinter die Kleiderpuppe und die elektrische Nähmaschine zwängen. Wenigstens glaube ich, dass sie dort schlief. Die Kleiderpuppe hatte eine sonderbare Macht über mein Vorstellungsvermögen, selbst heute, im Geiste, kann ich die Tür nicht öffnen, um hineinzuspähen.
    Peggy McEvoy, so hieß eine der Schauspielerinnen. Und sie war mit jemandem vom Fernsehen verlobt.
    Und in der guten Stube saß Nolly, räusperte sich und schluckte, während wir die VoVos aßen, die er mitgebracht hatte, und die Blackjacks. Ich erkannte ihn am Geschmack der Süßigkeiten und am Funkeln seiner Brillengläser oder an der Schwere seiner Taschen und dem eigenartigen kleinen Auswuchs, der wie eine Blume in seinem Ohr spross. Die Hände hatte er flach auf die Knie gelegt, und er beugte sich immer leicht nach vorn, nie lehnte er sich richtig an der Rückenlehne des Sessels an. So, wie ich ihn jetzt vor mir sehe, saß er da wie jemand, der nicht oft Sex hatte – sein Blick war zu ungezwungen, auf eine Art, die ich mittlerweile deuten kann. Obwohl er, auf

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