Das Familientreffen
atlantischen Blau meines Vaters vermengten und uns unsere unverwässerten Alkoholikeraugen bescherten, unser unverdünntes Blau, pur, ohne was zum Nachspülen, schön und krankhaft und irgendwie abwesend oder geistesabwesend, bis wir sie »anknipsen«, will sagen: Wir bemerken jemanden und beschließen, ihm unser vollstes Blau zu schenken.
(Meine eigenen Augen sind wie Adas, eine Art nichtssagendes Grau, das man, wenn man auf Irisch über Steinmauern oder das Meer schreibt, liath nennt. Auch Alice hatte diese verregneten Augen, ebenso Ivor und Midge. Wir waren keine waschechten, elektrischen Hegartys, sondern eine Art Subspezies, die Firbolg vom Griffith Way.)
Onkel Brendan ist auch derjenige, dem wir unsere mathematische Ader verdanken – eine ziemlich prosaische Veranlagung, die damit zu tun hat, dass wir uns Telefonnummern merken und im Supermarkt die Kassiererinnen maßregeln können, wenn sie uns für die gemischten Salatblätter zu viel berechnet haben. Keiner von uns hat, was Onkel Brendan hatte – das zumindest wissen wir -, denn Onkel Brendan hatte Mathematik im Blut. Immer hatte man uns zu verstehen gegeben, dass der Bruder unserer Mutter zu gut für diese Welt war.
Und selbst wenn Ernest in den Bergen von Peru bei Kerzenlicht etwas über die Stringtheorie liest, so sind doch die meisten der gescheiten Hegartys nichts weiter als das – gescheit, was heißen soll: unerlöst, sie verdienen mehr oder weniger genauso viel Geld wie der Nächstbeste und neigen zu klugen Bemerkungen. Beim Landeanflug realisiere ich, dass das Leben in St. Ita’s durchaus kein romantisches war, sondern eher ein langes, schmutziges Geschäft: Sie beobachten, wie sich die Pisse in Ihrem Schoß sammelt, und hin und wieder ahnen Sie fast, was Sie denken.
»Ich weiß, was ich denke!«, sagt der Verrückte in meiner Vorstellung und schlägt auf die hölzerne Armlehne seines Sessels. »Ich weiß, was ich denke!«, und die Pflegerin, die eben vorübergeht, meint lediglich: »Wie schön für Sie!«
Das Abfertigungsgebäude gleitet am Fenster vorüber und wirkt fast so wie das Abbild eines Gebäudes, das gesamte Ritual der Landung fühlt sich so kinematografisch und attrappenhaft an, dass ich eine Weile lang nichts davon glaube. Onkel Brendan ist jetzt nicht tot, oder doch nicht richtig tot, und dem Fahrband, den Rolltreppen und den Gepäckkarussells haftet etwas so Kapriziöses an, etwas, das sich noch nicht irischem Boden anbequemen will, dass ich, als ich den Saab endlich aus dem Parkhaus manövriere und zum Kreisverkehr gelange, auf der Flughafenstraße nach Norden fahre statt nach Süden.
Es liegt nur wenige Kilometer entfernt, dieses Gebäude. Die kleine Brücke ist noch da, ebenso die Eisenbahnlinie, die nach Norden abzweigt. Danach verblasst meine geistige Landkarte plötzlich, und das Band der Straße vor mir zerfasert. Schon beginne ich die Hoffnung zu verlieren, als die Fahrbahn sich wieder in die Straße meiner Erinnerung verwandelt – es ist dieselbe Landstraße, lang gedehnt und schnurgerade. Auf der linken Seite verläuft ein Bürgersteig aus Beton, auf der rechten steht eine Reihe zerzauster Bäume, dahinter befindet sich ein Graben, der einer tief liegenden Wiese weicht, wo ein feuchtes, leuchtendes Grün hier und da zu einem Tümpel im Gras abfällt.
Hinter den Bäumen das harte weiße Licht des Himmels über Wasser.
Das ist es. Zwischen meinem geistigen und meinem physischen Auge findet keine Verschiebung statt. Ich versuche, mein Tempo zu drosseln, bis es Schritt hält mit meinem Gedächtnis, doch dieses rast zu schnell an mir vorüber.
»Erinnerst du dich noch an diese Straße?«, sage ich zu Kitty.
»Was für eine Straße?«
»Diese hier.«
»Was soll mit der sein?«
Schon hat sie die Hälfte der Vergangenheit verschluckt. Die Hälfte meines Lebens ist verschwunden, ehe sie endlich beschließt, mich zu verstehen.
»Ob ich mich an sie erinnere?«, fragt Kitty.
»Menschenskinder«, sage ich.
»Wie bitte?«
Mittlerweile haben wir den Bungalow in seinem Getreidefeld passiert, allerdings ist das Getreide unter der niedrigen Herbstsonne zu Stoppeln zurückgestutzt.
»An den Mann mit den beiden Stöcken?«
Und an dieser Stelle, obwohl sie es bis zum Äußersten treiben könnte, sagt Kitty einfach nur: »Ach ja.«
»Der hier entlanggelaufen ist?«
»Hier?«, sagt Kitty. »Nein, nicht hier.«
In diesem Moment bremse ich ab und biege nach rechts in die Krankenhausauffahrt.
Es ist, als seien wir eben
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