Das Familientreffen
zurück. Ich habe meine Kinder um mich und meinen Mann an meiner Seite, und wieder einmal bin ich bei einem Familientreffen; immer gibt es Schinkenbrote, bei denen die Kruste abgeschnitten ist, Butter und Kohlsalat vom Supermarkt und als Beilage Kartoffelchips mit Käseund Zwiebelgeschmack. Es gibt Cocktailwürstchen und quadratische Quiche-Stücke und Obstsalat für Mossie, der sich sonst immer über Transfettsäuren beschwert. Es gibt Ritz-Cracker mit Lachspastete und einer Garnele obenauf, andere mit Petersilienzweiglein auf einem Klacks Rahmkäse. Für Kitty oder Jem, oder wer immer gerade diese Woche Vegetarier ist, gibt es Humus, mit Guacamole und Taramas zu einem Trio zusammengestellt. Es gibt meinen Räucherlachs und Beas Lasagne und fantastische Götterspeise aus der Packung, die in kleinen Glasschälchen vor sich hin wackelt. Die hat meine Mutter mit ruhiger Bedachtsamkeit schon am Vorabend gemacht und über Nacht kalt gestellt.
Wein gibt es nicht.
Nein, das stimmt nicht. Diesmal, zum ersten Mal – vielleicht zu Ehren von Liams ungeheurer Trinkfestigkeit -, stehen zwei Flaschen auf dem Tisch, ein Rotwein und ein Weißwein. Jeder weiß, dass sie da sind, und keiner, aber auch keiner, wird davon trinken. Mossie versucht, Mrs Cluny ein Glas davon einzuschenken, die es jedoch mit ihrer Handtasche nahezu wegprügelt. »Nein, nein, das könnte ich nicht«, sagt sie. »Nein, unter keinen Umständen.«
Es ist wunderbar, fast vierzig zu sein, denke ich und spreche meiner Orangenlimonade zu.
Jem geht nach nebenan, um ein paar Stühle zu holen, und Bea reicht die Teller herum, und wir beginnen mit der Vorstellung. Eine Weile lang versuche ich, die Kinder in Schach zu halten, dann gebe ich es auf. Ich lehne mich gegen die Wand und sehe meiner Familie beim Essen zu.
Als wir jung waren, bestand Mossie immer darauf, dass wir geräuschlos kauten. Er habe nichts dagegen, bei uns zu sitzen, sagte er, und wir könnten so viel reden, wie wir wollten, aber das Geräusch, das wir machten, wenn wir das Essen im Mund zerdrückten, könne er nicht ertragen, und jedes Schlürfen, auch nur das geringste Schmatzen werde uns eine Kopfnuss eintragen. Während der Mahlzeit hatte er den Blick auf den Tisch geheftet und kaute schnell und aufs Geratewohl drauflos. Ich weiß nicht, warum wir uns das gefallen ließen – vielleicht hat’s ja auch Spaß gemacht -, aber wenn ich sehe, wie meine Familie den Leichenschmaus in sich hineinschlingt, verstehe ich, wie er darauf kam.
Ernest, der Zölibatär, ist besonders furchtbar anzusehen. Selbst meine Mutter isst mit einer jähen Gier, als falle ihr eben erst ein, wie man es bewerkstelligt. Eine Welle des Wiedererkennens lässt sie von einem Ritz-Cracker zum nächsten hasten, sie kommt den Leuten in die Quere, und einen winzigen Augenblick lang sind sie bedrückt. Die Nachbarn tun sich nur wenig auf den Teller und stellen diesen dann ab, aber nach einer Weile vergessen sie sich und futtern alles auf einmal. Ein Mann, den ich allmählich als den Bruder meines Vaters identifiziere, greift mit wulstigen Fingern zu. Er arbeitet sich schnell und pragmatisch vor, belustigt von dem Aufgebot an kleinen Genüssen und darauf bedacht, vor Einbruch der Nacht eine annehmbare Menge Nahrung in sich hineingestopft zu haben.
Daddy stammte aus der Grafschaft Mayo – will sagen, er verließ Mayo, als er siebzehn Jahre alt war. Liam hatte sentimentale Gefühle, was den Westen Irlands anbelangte, aber ich glaube nicht, dass Daddy welche hatte, und ich habe ganz bestimmt keine. Aber ich habe sentimentale Gefühle, was meinen Onkel Val anbelangt – stelle ich jedenfalls fest. Ich beobachte ihn und denke, wenn ich nur lange genug hinstarre, wird sich meine Kindheit ihm entgegenheben. Außerdem will ich herausfinden, was für eine Art Mann er ist, nun, da ich in der großen, weiten Welt so viele andere Männer kennengelernt habe.
Val ist Farmer, ein Junggeselle in den Siebzigern, insofern müsste er von Rechts wegen halb verrückt sein. Aber er wirkt ziemlich vergnügt. Und gescheit. Er verrichtet immer nur eine Tätigkeit auf einmal, das ist das Bemerkenswerte an ihm. Er wischt sich die Finger an einer Papierserviette ab und sucht nach einem Plätzchen, wo er sie ablegen kann, und als er keines findet, knüllt er die Serviette zusammen und klemmt sie unter dem Rand seines leeren Tellers fest. Dann mustert er den einen oder die andere von uns, als wolle er das Leben eines jeden von uns abschätzen: wie es
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