Das Familientreffen
bisher verlaufen ist und wie es enden wird. Onkel Val liebte es, wenn eine Sache ein Ende hatte. Selbstmorde mochte er besonders gern. Er pflegte die Häuser der Nachbarn mit uns durchzuhecheln und uns zu erzählen, wer sich erschossen und wer den Strick genommen hatte. Liam erzählte er eine Geschichte über einen Mann aus seinem Ort, der, als seine Frau sich weigerte, mit ihm zu schlafen, aufstand, ein Küchenmesser holte und sich vor ihren Augen kastrierte.
»Den ganzen Klumpatsch«, sagte er. »Den ganzen Kladderadatsch.«
»Onkel Val«, sage ich, schüttle ihm die Hand und denke schon, ich könnte einen Panikanfall bekommen, nur weil mir der Geruch seines Anzugs in die Nase steigt.
»Veronica, nicht wahr? Mein Beileid. Ein toller Kerl. Ich glaube, er war mein Liebling.«
»Ja«, sage ich.
»Ich hatte ihn immer sehr gern um mich.«
»Ja.«
Wie mir jetzt bewusst wird, habe ich meinen Onkel Val geliebt, seit ich sechs Jahre alt war.
»Er hat dich immer sehr gern besucht«, sage ich, »und die Zeit bei dir genossen.«
»Ach ja«, sagt Val. »Man tut, was man kann.«
Und da kommt mir in den Sinn, dass ich nicht die Einzige bin, die sich bemüht hat, Liam zu retten – auch dieser Mann hier hat sich bemüht, und dieser Mann, der auf seiner Farm in Maherbeg festsitzt, wird sich für immer schuldig fühlen, weil es ihm nicht geglückt ist. Zum ersten Mal steht das Wort Selbstmord im Raum – dass wir alle versagt haben. Na, danke vielmals, Liam.
Ita greift hinter sich und nimmt ein Glas Wasser zur Hand, das sie in die Spüle gestellt hat. Das hat mich schon den ganzen Abend geärgert – warum bewahrt sie es dort auf? Dann merke ich, dass es gar kein Wasser ist, sondern Gin. Verblüffend. Sie sieht genauso aus wie vorhin, als ich ankam, obwohl ihr Gesicht etwas starrer und geschwollener wirkt. Und dann ist da auch noch ihre Nase, die zweifellos eine andere, eine amerikanischere Form hat. Ita betrachtet uns alle mit unverhohlener Wut. Vielleicht liegt es daran, dass wir so hässlich sind. Obwohl ich mich schwerlich über sie beklagen kann – so wie ich auf den Anblick der Hegarty-Münder reagiere, die ihr Essen in sich hineinstopfen.
Unterdessen unterhält sich Tom aufs Neue mit Mossie. »Eigentlich der einzig Normale in der ganzen Familie«, wie er mir jährlich um die Weihnachtszeit herum versichert. Und wie ich ihn so mustere, trifft es tatsächlich zu: Mein Bruder wirkt sehr normal, er hat eine angenehme Arbeit und eine angenehme Frau, und er schickt uns allen immer angenehme Rundbriefe, in denen er erzählt, wie es seiner kleinen Familie ergeht. »Ein herzliches Willkommen für den kleinen Darragh!!« Um die Wahrheit zu sagen, Mossie hat schon seit zwanzig Jahren nichts Psychotisches mehr verbrochen. Trotzdem – als mein Mann Tom, der Akademiker, meinen Bruder Mossie, den Akademiker, in ein politisches Gespräch darüber verwickelt, dass dieses unser Land einen Aufschwung erlebt, macht Liam nebenan ha ha . Ha ha ha , macht die Leiche nebenan.
Ich will mich betrinken. Urplötzlich. Es ist ein unheilvoller Wunsch, aber unabweisbar. Ich will meine Kinder und meinen Mann loswerden, damit ich mir endlich mal einen Affen kaufen kann, denn weiß Gott, ich hab mir noch nie einen Affen gekauft. Und da, auf der anderen Seite des Zimmers, sitzt Kitty und verdreht die Augen. Ita! Ich gehe nur mal so eben an der Spüle vorbei (denn Alkoholiker sind stets von Nutzen, wenn man sich amüsieren will).
»Wir brauchen eine Flasche irgendwas. Gibt’s hier’ne Flasche für hinterher?«
Und durch zusammengebissene Zähne sagt Ita: »Ich schau mal nach.«
Im Zimmer entsteht Unruhe. Zeit, den Raum zu verlassen oder aufzubrechen. Ich muss noch mit Midges Töchtern reden, rasch, bevor sie gehen, Kinder, Wickelkinder und Krabbelkinder im Schlepptau. Meine Nichte Ciara ist im fünften Monat schwanger, und von der Hitze, die im Zimmer herrscht, ist ihr Gesicht heftig marmoriert.
Ich tippe ihren Unterarm an, und sie streift mein Handgelenk, denn schwangere Frauen müssen berühren und berührt werden, und ich weiß, mein Gesichtsausdruck ist geradezu inbrünstig, als ich sie frage: »Kannst du schlafen? Hast du das neue Bett bekommen?« Ciara streicht sich über den Bauch, dann greift sie mit flatternden Händen noch einmal nach mir.
»Himmel, das Leben auf einem Futon«, sagt sie.
»Dieser Mann, dein Mann«, sage ich, »der gehört erschossen.«
»Er hat’s mit dem Rücken.«
»Ja, ja«, und wir müssen beide lachen
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