Das Feenorakel
Versuchskaninchen zu verwenden.»
Aus irgendeinem Grund fing Julen zu lachen an. «Kaninchen ist gut.»
Alva seufzte, sie konnte sich nicht vorstellen, was Julen daran so lustig fand. «Da ihr euch schon einig seid, lasst uns anfangen.»
«Das Beste ist, du setzt dich dort in den Sessel.»
«Kein Problem.» Erik winkte ihr zu.
Julen reichte ihr eine Wasserflasche, drehte sie sanft um, so dass ihr Blick durch die Fenster hinaus auf die schmale Mondsichel fiel. Dann setzte er sich an den Flügel und spielte einen der Songs aus ihrem Repertoire.
«Ich wusste gar nicht ...»
«Sing!», unterbrach er sie und wiederholte die Passage, damit sie ihren Einsatz fand.
Es war eines der Lieder, die Stefan für sie umgeschrieben hatte, und es dauerte nicht lange, bis Alva alles um sich herum vergaß und vollkommen in der Musik aufging.
Bis sie plötzlich einen brennenden Schmerz spürte. Julen saß nicht mehr an der Tastatur, sondern stand vor ihr, seine Fingernägel bohrten sich wie Klauen in ihre Schulter. Er sah aus, als wolle er sie mit seinen eismeerblauen Augen hypnotisieren. Voller Furcht blickte sie beiseite und sah Erik vor sich am Boden liegen mit einem Gesichtsausdruck, der ihr Angst machte. «Ich habe es wieder getan, oder?»
Julen ließ sie los und half seinem benommen blinzelnden Freund auf.
Der schüttelte sich wie ein Hund und sagte mit rauer Stimme: «Das habe ich noch nie erlebt! Was bist du?»
Ehe Alva antworten konnte, mischte sich Julen ein. Er legte dem Mann die Hand auf die Stirn und flüsterte ein paar unverständliche Worte.
Was da gerade zwischen den beiden geschehen war, wollte Alva überhaupt nicht wissen. Sie hatte ohnehin genug mit sich selbst zu tun, denn ihr Versuch, zu singen, ohne anderen Schaden zuzufügen, war ziemlich in die Hose gegangen.
Erik setzte sich zurück aufs Sofa. «Ich sage es ja: Versuchskaninchen . Lass es uns noch mal versuchen.»
Während Julen zum Klavier zurückging, erinnerte er Alva an Florentines Ratschläge. «Stell dir eine Seifenblase vor, die dich umgibt», hatte sie gesagt und erklärt, dass sie auf diese Weise zwar für ihr Publikum sichtbar und natürlich auch hörbar war, dass sich aber tatsächlich der dünne Schleier einer vorübergehend geschaffenen Dimension zwischen ihnen befand. Alva hielt es für ausgeschlossen, dass ihr dieser Trick jemals gelingen würde, aber einen Versuch war es wert.
«Ich versuche es.» Sie lauschte konzentriert seinem Spiel, fand ihren Einsatz und sang. Tatsächlich half ihr die Vorstellung einer schillernden Membran, die sie umgab, ihre Magie zu dämpfen. Doch Alva liebte dieses Lied, und ehe sie sich versah, verlor sie sich erneut im Zauber der Melodie. Dieses Mal bemerkte sie ihren Fehler allerdings schneller und schlug die Hand vor den Mund.
Erik blinzelte, als sei er unerwartet aus dem Dunkeln ins Helle getreten. «Du bist fantastisch!» Das warnende Grollen aus Julens Kehle stoppte ihn sofort, und er ließ sich wieder in die Polster zurückfallen. «Mann, er hat mir nicht gesagt, dass es derart schwierig werden würde!», knurrte er.
Nachdem sie einen Schluck aus ihrer Wasserflasche genommen hatte, stellte sie sich wieder an den Flügel. «Noch mal!»
Und dieses Mal kam ihr ganz unerwartet eine Lektion von Nienibit zu Hilfe, an die sie sich plötzlich erinnerte. Damals hatte sie unter der strengen Anleitung ihrer geheimnisvollen Lehrerin ebenfalls trainieren müssen, wie man Gefühle ebenso wie die Magie kontrollierte. Plötzlich war alles ganz einfach. Das Lied behielt seinen Zauber, ihre Stimme war vollkommener als jemals zuvor und trotzdem verriet ihr ein schneller Blick zu Erik, dass sie den Sirenenzauber dieses Mal unter Kontrolle hatte. Julens Freund wippte mit dem Fuß zur Melodie, aber das Lächeln in seinem Gesicht zeigte ehrliche Begeisterung und nicht diesen zwanghaften Wahn, den die Stimme einer Sirene auch auslösen konnte.
Die letzte Note verklang im Raum. Niemand sagte ein Wort, bis Julen schließlich aufstand, sie umarmte und küsste.
Alva erwiderte seine Zärtlichkeiten, bis ein Räuspern sie daran erinnerte, dass sie nicht allein waren.
«Vielleicht sollten wir es noch einmal probieren. Nur, um ganz sicher zu sein.»
«Ach, gib es zu, du willst ein Privatkonzert hören.» Lächelnd setzte sich Julen wieder an den Flügel.
«Stimmt genau. Zufällig bin ich ein Fan eurer Musik.»
Sofort erwärmten sich Alvas Wangen. «Wenn du das wirklich möchtest, gern. Ich wäre dir sehr dankbar.» Am
Weitere Kostenlose Bücher