Das Feenorakel
murmelnd seinem Befehl folgte. Nur ein schneller Lidschlag verriet, dass Kieran ebenso erstaunt wie er selbst war, als sie die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zuschlug.
«Das gibt Ärger!» Der Vengador lachte und wollte Julen begrüßen. «Wenn ich geahnt hätte, dass du es bist, hätte ich nicht zu kommen brauchen. Aber was tut sie hier?»
«Das geht dich nichts an!»
Kieran runzelte die Stirn. «Kannst du mir bitte verraten, was mit dir los ist?»
Julen atmete durch, obwohl er den Sauerstoff nicht gebraucht hätte. Und in diesem Fall war die alte Gewohnheit aus Jugendtagen sogar hinderlich, denn erneut weckte der Duft von Alvas Feenblut seine Blutlust. Etwas, das er in dieser Situation überhaupt nicht gebrauchen konnte. «Nichts», log er.
«So ist das also.» Es war dem Vampir anzumerken, dass er ihm kein Wort glaubte. «Habe ich dich nicht gewarnt, deine unglückliche Vorliebe für Feentöchter endlich zu begraben. Rühr sie noch einmal an und du bist Geschichte!»
«Was redet er da?» Alva stand in der Badezimmertür und ballte die Fäuste, als wolle sie jeden Augenblick über Kieran herfallen. «Pass mal auf, mein Freund, was wir tun oder nicht, das geht nur uns etwas an!»
Julen wäre stolz auf ihren Mut gewesen, wenn er es nicht vorgezogen hätte, sie vor der Rache des Vengadors zu bewahren. Noch nie hatte er jemanden derart respektlos mit Kieran reden hören. Mit Ausnahme von Nuriya vielleicht, Kierans Seelengefährtin, die für eine spitze Zunge bekannt war. Sobald er an die streitbare Fee dachte, beruhigte er sich. Sein Chef war wildere Attacken gewöhnt als diese.
Zum Glück war es Alva gelungen, neue Kleidung aufzutreiben. Es wäre ihm allerdings lieber gewesen, wenn sie anstelle des kurzen Rocks und eines viel zu kleinen Shirts etwas weniger Aufreizendes ausgewählt hätte.
Offensichtlich hatte sie sich am Schrank ihrer Gastgeberin bedient, die es bestens verstand, ihre ebenfalls zierliche Figur wie einen Leckerbissen zu präsentieren. Bisher hatte er sich darüber amüsiert, wie eifersüchtig sogar ihre Brüder über sie wachten. Doch nun verstand er, welche Selbstdisziplin sie aufwenden mussten, um ihre Schwester und auch ihre eigenen Partnerinnen nicht einfach vor der Welt wegzuschließen, damit niemand da draußen in Versuchung geriet.
Nicht, dass sich irgendeine dieser Frauen hätte einsperren lassen. Seine Alva ganz gewiss nicht. Unwillkürlich musste er lächeln. Eigensinn und Selbstständigkeit waren zweifellos anstrengend, aber sie machten einen wichtigen Teil ihrer Persönlichkeit und ihres Charmes aus.
Viviannes Parfum hatte sie auch benutzt, verriet ihm seine Nase, und er war dankbar, dass der frische Duft von Zitrus und versöhnlichem Neroliöl den Blutgeruch nahezu neutralisierte. Außerdem klebte ein breites Pflaster über dem Schnitt an ihrem Finger.
Bitte, bleib wo du bist! Ich erkläre dir alles später!
Ohne seine lautlose Warnung zu beachten, ging sie geradewegs auf ihn zu und hakte sich bei ihm unter. «Hallo!», begrüßte sie Kieran schnippisch. Immerhin war sie klug genug, ihm nicht die Hand zu reichen. «Geht es dir nicht gut?»
Es klang ein überraschend besorgter Unterton mit, deshalb riss Julen sich widerwillig von ihrem liebreizenden Anblick los, um sich wieder Kieran zuzuwenden. Er glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können. Die Mundwinkel seines mächtigen Mentors bebten, die dunklen Pupillen weiteten sich unnatürlich und plötzlich brach Kieran in ein schallendes Gelächter aus.
«Ist dein Freund vielleicht nicht ganz dicht im Oberstübchen?»
Normalerweise gefiel Julen ihr freches Mundwerk, aber momentan schien es ihm angeraten, Kieran nicht unnötig zu provozieren.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke und nun wurde ihm selbst flau in der Magengegend. «Bevor jetzt noch irgendjemand etwas sagt, schlage ich vor, dass wir uns ganz ruhig hier an den Tisch setzen und über alles reden.»
Kieran zeigte keinerlei Reaktion.
Allmählich machte Julen sich ernsthafte Sorgen. «Kieran, was ist?»
Sie ist eine Sirene, stimmt’s?
Da Julen auf eine entsprechende Frage ohnehin keine Antwort erhalten hätte, verzichtete er darauf, sich zu erkundigen, woran Kieran dies bemerkt hatte, und bestätigte die Frage mit einem kurzen Nicken. Und sie kommt verdammt schlecht damit zurecht.
Hast du mit deiner Mutter gesprochen? Natürlich wusste er über Julens Herkunft Bescheid und sicher war ihm auch bekannt, dass Florentine derzeit sehr erfolgreich und frei von
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