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Das Feenorakel

Titel: Das Feenorakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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Handfläche berührt, als er ihr die Fingerspitzen geküsst hatte. Spätestens jetzt wurde ihr klar, dass sie niemandem von diesem Traum erzählen durfte. Unwillkürlich hob Alva die Hand und betrachtete die Innenseite. Natürlich war nichts zu sehen. Aber ein bisschen fühlte es sich immer noch so an, als könnte sie seine Lippen darauf spüren.
    Ob außer diesem Kuss noch etwas anderes geschehen war, hatte sie dummerweise vergessen. Ein nagendes Gefühl der Unsicherheit blieb zurück. Was habe ich getan? Als könnte es ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen, leckte sie sich mit der Zunge über die Lippen. Die dunkle Süße, die sie zu schmecken glaubte, existierte gewiss nur in ihrer Einbildung.
    Es war ihr vollkommen unverständlich, dass sie nicht wenigstens nach seinem Verschwinden sofort die Polizei gerufen hatte. Aber sie hatte sich zu keinem Zeitpunkt gefürchtet und war sich ganz sicher gewesen, dass sie es nicht mit einem Dieb ... oder sogar Schlimmerem zu tun hatte. Und dann war er einfach über den Balkon verschwunden.
    Am liebsten wäre sie sofort aufgesprungen und hätte nachgesehen, wie er es geschafft hatte die nicht unerhebliche Entfernung zwischen der Balustrade und dem ersten wirklich kräftigen Ast ihres Baumes zu überwinden, ohne auch nur das geringste Rascheln zu verursachen, aber sie hatte sich nicht getraut. Alva sah in den Spiegel und zeigte sich selbst einen Vogel. Na klar, hast du nichts gehört! Es war ja nur ein Traum.
    Sollte dieser Traum ein Hinweis auf ihre Zukunft sein, dann durfte sie getrost davon ausgehen, dass ihr aufregende Zeiten bevorstanden. Sie hätte eben doch nicht Apollon, den Gott der Weissagung, um eine zweite Chance bitten sollen.
    Um ihre Mitbewohner heute nicht zu stören, verzichtete sie schweren Herzens darauf, ihr Cello auszupacken. Nur kurz öffnete sie den Koffer und strich über das glänzende Holz, wie immer besorgt, Kratzer oder Dellen zu finden. Doch da waren keine, und das war auch nicht weiter verwunderlich, denn sie hütete das Instrument wie ihren Augapfel. Und das lag gewiss nicht nur daran, dass ihre Eltern bisher noch nicht einmal die letzte Rate bezahlt hatten.
    Schließlich klappte sie den Deckel wieder zu, verschloss den Koffer sorgfältig und bewegte sich so lautlos wie möglich durch den Flur, bis sie schließlich die Wohnungstür erleichtert hinter sich zuziehen konnte.
    Eigentlich hatte sie keine Lust darauf, heute schon ihr Leben neu zu organisieren, aber sie hatte sich vorgenommen, alles besser zu machen als in der Vergangenheit, und ging deshalb ohne Umwege zum Jobcenter.
    Das Zeugnis in ihrer Tasche war nicht nur ein bisschen verknickt, es würde ihrer Vermittlerin auch keine große Freude bereiten. Der Gedanke bedrückte sie nicht besonders. Irgendetwas würde der Computer schon für sie ausspucken.
    Eine halbe Stunde später fühlte sich Alva weniger zuversichtlich. Sie hatte geglaubt, dass Leute, die in Cafés oder im Supermarkt arbeiteten, keinerlei besondere Qualifikationen mitbringen mussten. Ein Irrtum. Wenn man einmal von schlecht bezahlten Jobs absah, die von all den bestens ausgebildeten jungen Leuten besetzt waren, die ihre Wartezeit vor oder nach dem Studium dazu nutzten, ein bisschen Geld zu verdienen, wurde überall Berufserfahrung erwartet und in einigen Pubs verlangte man sogar Fremdsprachenkenntnisse.
    Die Beraterin zuckte mit den Schultern. «Das liegt an den Touristen. Heute wird viel mehr erwartet als noch vor ein paar Jahren.»
    Dann entdeckte Alva das Stellenangebot eines Musikclubs: Hübsche Sie für Abend-Garderobe und Aushilfstätigkeiten gesucht. Sie tippte mit dem Zeigefinger darauf und sah die Frau fragend an.
    Doch die schüttelte den Kopf und sagte, dass das Publikum dort fragwürdig sei und die Arbeit erst in den frühen Morgenstunden endete. «Es ist etwas anderes, in einer solchen Diskothek zu tanzen, als dort zu arbeiten, glaube mir.»
    Leider fanden sich außer der Anzeige einer Begleitagentur und eines Fotografen, der Modelle für erotische Bilder suchte, keine weiteren Angebote. «Das ist nicht schlimm», sagte sie und riet Alva, alle paar Tage vorbeizukommen.
    Ein bisschen ernüchtert, aber noch keineswegs beunruhigt, verbrachte Alva den Rest des Tages damit, ihre Umgebung zu erkunden und, als ihre Füße vom Herumspazieren schmerzten, im Café zu sitzen und Leute zu beobachten. Darüber vergaß sie die Zeit und es wurde bereits dunkel, als sie mit zwei weiteren Pflanzen, die ihr Mitleid erregt

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