Das Feenorakel
hatte, sofort eingeladen worden zu sein. Und er schrieb es ihren guten Instinkten zu, dass trotz aller Freude auch ein Quäntchen Misstrauen in ihrer Stimme zu hören gewesen war. Warum Richard sofort zugesagt hatte, war in dessen Gedanken nicht deutlich zu lesen gewesen. Julen vermutete, dass der Clubchef instinktiv und ohne große Hintergedanken gehandelt hatte. Eine Garderobenhilfe zu beschäftigen war zwar sicherlich notwendig, aber nicht so bedeutend, dass man die Bewerber einer genaueren Prüfung unterziehen musste. Der Statthalter konnte das zwar noch nicht wissen, aber hübsch genug war die Kleine allemal, um den Job zu machen. Und ihm, erkannte Julen in diesem Augenblick, würde es die Aufgabe über sie zu wachen deutlich erleichtern. Er fragte sich ohnehin schon die ganze Zeit, wo sein Partner blieb, der zweifellos tagsüber für ihre Sicherheit sorgen sollte.
Julen nahm sich vor, demnächst bei Kieran nachzufragen, aber das musste warten, denn jetzt hatte er anderes zu tun.
Seine niedliche Schutzbefohlene näherte sich. Fast war er versucht einzugreifen, als sie prompt den Weg zum falschen Eingang einschlug. Aber ein kurzer Scan der Umgebung ergab, dass ihr derzeit keinerlei Gefahr drohte. Also ließ er sie einmal um das Gebäude laufen und freute sich daran, wie sich ihr Puls in der Dunkelheit beschleunigte.
Da Richard bereits während des Telefonats entschieden hatte, Alva einzustellen, war Julen auch nicht weiter überrascht, dass sie das Gebäude nicht verließ, sondern offenbar sofort mit ihrem Job als Garderobiere begann.
Vor seiner Verabredung mit dem Statthalter hatte er ausgiebig gefrühstückt und brauchte in dieser Nacht nicht mehr zu trinken. Es sei denn zum Zeitvertreib oder um in Übung zu bleiben, womit er gern entschuldigte, dass er von Zeit zu Zeit einen Sterblichen biss. Was wäre das Dasein ohne einen gelegentlichen Kick?
In der unmittelbaren Nähe eines vampirischen Hauptquartiers wäre eine Jagd jedoch außerordentlich unklug und obendrein eine unnötige Provokation gewesen. Das Gelände war durch mehrere Wachleute gut gesichert, und Vampire verhielten sich in bestimmten Situationen nicht anders als Haie. Ein Tropfen Blut hätte ihn unter Umständen bereits verraten, oder noch schlimmer, den Appetit weniger disziplinierter Jäger anregen können. Er hätte sie töten müssen und das hätte wiederum Ärger mit Richard bedeutet.
Man konnte nie wissen, was geschehen würde, wenn zwei fremde Vampire aufeinandertrafen, und obwohl es in diesem Fall höchst unwahrscheinlich war, hatte Julen sich auch auf einen Kampf eingestellt. Wie immer trug er gut verborgen sein Schwert bei sich und dazu noch eine Auswahl handlicherer Waffen. Dabei ahnten die Wachleute nicht einmal, dass er in der Nähe war. Denn anders als bei seinem Antrittsbesuch konnte ihn jetzt niemand spüren. Die nahezu einzigartige Gabe, seine Anwesenheit nach Belieben zu verschleiern, war es, die ihn zu einem der gefährlichsten Vengadore machte.
Ein Vengador, der jetzt auf einem Schornstein hockt und auf ein kleines Mädchen aufpasst , dachte er amüsiert. Dank des Blutstropfens, den er ihr geschenkt hatte, wusste er ganz genau, in welchem Teil des Gebäudes sie sich aufhielt, und hätte sogar spüren können, wäre sie in Gefahr gewesen.
Während er also geduldig auf Alvas Rückkehr wartete, hatte er ausreichend Gelegenheit, das Kommen und Gehen zu beobachten. Insgesamt gab es vier Eingänge. Da war zuerst einmal natürlich der Eingang zur Diskothek. Hell erleuchtet wirkte er von hier oben wie ein großes Maul, das die Sterblichen zu verschlingen schien, sie jedoch auch wieder unbeschädigt, und schlimmstenfalls um ein bisschen Blut erleichtert, irgendwann wieder ausspuckte. Die unscheinbare Tür, durch die Alva gegangen war, schien der Personaleingang zu sein. Ihn selbst hatte man durch einen magisch gesicherten Zugang eingelassen, der sich auf der anderen Seite des Gebäudes befand und ohne Umwege in Richards Büro führte. Es war immer gut, mehrere Zugänge zu einem Hauptquartier wie diesem zu besitzen, und Julen war während seiner kurzen Inspektion keiner davon entgangen.
Die restliche Wartezeit vertrieb er sich mit der Beobachtung der Sterblichen und ihres Balzverhaltens. Gelegentlich musste er lächeln, so deutlich war deren Körpersprache, wenn sie allein oder in Gruppen die Treppe zum Eingang der Diskothek hinaufstiegen. Im Grunde, dachte er, unterscheiden wir uns nicht so sehr von ihnen. Jedenfalls was Liebe
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