Das Feenorakel
widersprüchlichen Alva, sondern auch noch mit einer lüsternen Sterblichen zu tun. Für einen Augenblick hatte er Tally sogar für eine Fee gehalten. Doch einer genaueren Prüfung hielt dieser beunruhigende Eindruck zum Glück nicht stand. Dennoch musste er auf der Hut sein, jedes Wesen aus der magischen Gemeinde konnte Alva theoretisch gefährlich werden. Gerade weil er noch immer nicht wusste, worin die Bedrohung bestand, vor der er sie schützen sollte, war nicht ausgeschlossen, dass jemand versuchen würde, sich ihr unbemerkt zu nähern.
Julen nahm sich vor, seine Strategie zu ändern und ihr so schnell wie möglich reinen Wein einzuschenken. Trotz des nicht auszuschließenden Risikos, dass sie ihn auslachen und zum Teufel schicken würde. Damit rechnete er allerdings nach ihrem letzten Gespräch nicht mehr ernsthaft. Seine Andeutungen zu ihrer Herkunft hatte sie erstaunlich offen, wenn nicht geradezu interessiert aufgenommen. Und dann war da noch diese eigentümliche Verbundenheit, die sie beide unzweifelhaft spürten. Sollte sie dennoch hysterisch reagieren, konnte er immer noch zu anderen Mitteln greifen. Der Gedanke daran, Alva mittels seiner Magie zu beeinflussen, bereitete ihm allerdings Unbehagen. Sie hatte es nicht verdient, wie eine willenlose Puppe manipuliert zu werden.
Während hinter ihm das Konzert weiterging, wandte er sich dem Aufenthaltsraum zu, um diese Pläne so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen. Vielleicht hatte es nur der harmlosen Begegnung mit einer lüsternen Sterblichen bedurft, um das lähmende Gefühl loszuwerden, das ihn inzwischen beschlichen hatte, weil seit Tagen nichts geschehen war.
Sich von Alva fernzuhalten war längst keine so besonders gute Idee gewesen, wie er ursprünglich gedacht hatte. Jeden Tag, den er sie nur aus der Ferne betrachtet hatte, war sein Wunsch stärker geworden, sie wieder in seinen Armen zu spüren. Vom Hunger nach ihrem verführerisch duftenden Blut einmal ganz zu schweigen. Doch daran war nicht zu denken. Sex mochte ja noch toleriert werden, aber wenn er von ihr trank, nachdem bereits sein Blut in ihren Adern floss, würde Kieran kein Pardon kennen. Die Verbindung, die Julen damit schaffte, wäre nur mit dem Tod wieder vollständig zu trennen, und er hatte das unangenehme Gefühl, dass es sein Kopf wäre, den der geheimnisvolle Auftraggeber in diesem Fall fordern würde. Die Anweisung war klar gewesen: Julen hatte die Finger von ihr zu lassen.
Als er Alvas Lachen durch die geschlossene Tür hörte, wäre er ungeachtet seiner finsteren Gedanken am liebsten sofort in den Raum gestürmt und hätte ihr zu diesem fantastischen Auftritt gratuliert. Diese Peinlichkeit blieb ihm zum Glück erspart, denn sie kam heraus und wäre beinahe mit ihm zusammengestoßen.
«Julen! Ich habe dich ... vermisst .» Sie trat einen Schritt zurück, verschluckte das letzte Wort und eine feine Röte überzog ihr Gesicht.
Aus den Schatten des unbeleuchteten Flurs heraus studierte er die Gesichter der Musiker, auf denen ein Hauch von Neugier lag.
«Wer ist das?», brach Stefan schließlich das Schweigen.
Bevor Alva etwas sagen konnte, legte Julen ihr die Hand federleicht auf die Schulter und schob sie sanft vor sich hinein in den Raum. «Hallo», sagte er und war zufrieden, als sein Lächeln erwidert wurde. Tom allerdings schien seine Zähne zu fletschen. Das war nicht anders zu erwarten gewesen. Alvas Stiefbruder mochte ihre unglückliche Begegnung vergessen haben, aber sein Unterbewusstsein erinnerte sich sehr wohl daran, dass der Fremde ihm nicht wohlgesinnt war. Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Auch der Tourmanager sah nur kurz auf. Er stand in einer unbeleuchteten Ecke und war in ein anscheinend wichtiges Telefonat vertieft, sofern Julen seine Miene richtig interpretierte.
«Ich bin Journalist.» Dieser Gedanke war ihm spontan gekommen. Einfach nur als ein Bekannter Alvas, der zudem noch mehr oder weniger aus dem Nichts aufgetaucht war, würde er das Vertrauen der Musiker schwerlich gewinnen können. Er wolle, improvisierte er aus dem Stegreif, ein Buch über junge Bands und die Musikszene schreiben. Alva hätte ihm von ihrem Auftritt erzählt und er sei sehr daran interessiert, One More Thing ... in den Mittelpunkt seiner Recherchen zu stellen.
«Für wen schreibst du?», fragte Stefan interessiert.
«Ich arbeite frei. Wenn die Geschichte gut wird, kann ich sie auf diese Weise am Ende dem Meistbietenden verkaufen.»
Stefan ließ nicht locker.
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