Das Feenorakel
zu einer dunklen Tür führen, die er für sie öffnete. Ein langer Gang lag vor ihnen, und es war deutlich zu erkennen, dass er nicht zu der Halle gehörte, in der sie noch vor Kurzem auf der Bühne gestanden hatte.
Einen Pförtner hatte es dort auch nicht geben. Der Mann hier machte Anstalten, sie gleich wieder rauszuwerfen. Dann aber ging eine eigentümliche Wandlung in ihm vor und er lächelte. Es sah aus, als sei er ein bisschen aus der Übung.
Julen schob sie weiter. Seite an Seite stiegen sie eine breite Treppe hinauf, deren ausgetretene Stufen davon zeugten, was Alva instinktiv bereits geahnt hatte: Dieses Haus war alt. Und es atmete. Zumindest fiel ihr keine andere Erklärung für das merkwürdige Gefühl ein, das sich mit jedem Schritt verstärkte.
Es roch nach Staub und Mottenpulver, nach Bohnerwachs und Schweiß. Nüchtern aufgezählt war das keine angenehme Kombination und trotzdem hatte der Geruch etwas seltsam Einnehmendes. Alva fühlte sich wohl.
Die wenigen Menschen, denen sie begegneten, beachteten sie kaum. In der nächsten Etage waren die Decken niedriger, die Gänge kaum beleuchtet. Schwach glimmende Notlichter trugen zu der eigenartig heimeligen Atmosphäre bei, von irgendwoher erklang Musik.
«Ein Theater!» Es hätte keines Genies bedurft, um das herauszufinden. Die Schilder, die im Zwielicht glommen und Ruhe! forderten, die Musik, die eindeutig live von einem klassischen Sinfonieorchester gespielt wurde, Tische, auf denen Requisiten lagen, und natürlich auch die besondere Atmosphäre waren eindeutig.
Doch ihr blieb wenig Zeit, darüber nachzudenken. Julen zog sie zu einem anderen, weitaus schmuckloseren Treppenhaus. Immer weiter ging es hinauf, bis er vor einer Tür stoppte und ihr bedeutete, leise zu sein. Was nicht ganz einfach war, denn sie hatte Mühe gehabt, ihm zu folgen, und war nun etwas außer Atem. Er dagegen wirkte überhaupt nicht so, als sei er gerade vier Stockwerke im Eiltempo hinaufgelaufen.
Während sie ihm neugierig folgte, nahm sie sich vor, schnellstens etwas für ihre Kondition zu tun. Überfahrt und Auftritt hatten sie erschreckend stark erschöpft. Am liebsten hätte sie sich auf den weichen, plüschigen Teppich gelegt, um die Schuhe abzustreifen und sich einen Augenblick ausruhen zu können. Daran war leider nicht zu denken; Julen hatte sie ins Vorderhaus des Theaters gelotst. So schlicht und schmucklos die Gänge eben noch gewesen waren, so prunkvoll präsentierten sie sich nun. Auch hier gab es nur gedämpftes Licht, aber die Türen, die zum Zuschauerraum führten, waren aus wertvollen Hölzern gefertigt und besaßen offenbar auch gut geölte Scharniere. Kein Laut war zu hören, als Julen eine davon öffnete und Alva durchschob. Hier im obersten Rang gab es keine Sitzplätze. Rechts von ihnen standen einige junge Leute am Geländer und sahen hinab. Einer hielt eine Partitur in den Händen, die er sich mit einer zierlichen Asiatin teilte. Beide wirkten sehr konzentriert.
Lautlos trat Alva ebenfalls an das Geländer und sah auf die Bühne hinab. Die Darsteller wirkten aus dieser Perspektive merkwürdig verzerrt und natürlich hatten die Zuschauer im ersten Rang einen weit besseren Blick, aber die Akustik war auch hier nicht schlecht. Sie freute sich, dass Julen ihre Vorliebe für alte Opernhäuser und Theater teilte. Jedenfalls schloss sie dies aus dem Lächeln, das auf seinen Lippen lag, als er nun neben sie ans Geländer trat. Aber warum er sie hierher gebracht hatte, konnte sie nicht erraten.
Unten bewegten sich die Ereignisse auf einen Höhepunkt zu. Alva kannte diese Oper zwar nicht, sie war ohnehin kein ausgesprochener Fan klassischer Musik, aber als dort unten eine erstaunlich junge Frau zu singen begann, vergaß sie sofort alles andere um sich herum. Das Orchester klang mit einem Mal eindrucksvoller und auch die Stimme des Mannes, mit dem sie ein Duett sang, gewann auf ganz eigentümliche Weise an Volumen.
Wenn sie ihre Eindrücke hätte zeichnen müssen, hätte sie den Noten wahrscheinlich Flügel geschenkt. Alva ließ sich vom zauberhaften Gesang einhüllen.
Die Welt schien in Ordnung zu sein, sie selbst frei von Sorgen, ihre Ängste verflogen. Sie lehnte sich an Julen und genoss die Kraft und Wärme seines Körpers. So also fühlte sich vollkommener Frieden an.
Tosender Applaus beendete schließlich ihre Glückseligkeit. Sie klatschte, bis ihre Handflächen brannten.
«Möchtest du sie kennenlernen?»
«Geht das denn?»
Mit einem
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