Das Feenorakel
den Atem. Sie war trunken von Euphorie und besessen von einem gefährlichen Hunger. Ihre Leidenschaft unterschied sich kaum von der mörderischen Blutlust seiner eigenen Art. Und obwohl er selbst am besten wusste, wie ungeheuer schwierig es war, der Versuchung zu widerstehen, erleichterte ihn diese Erkenntnis ungemein. Hier gab es etwas, womit er umzugehen verstand.
Systematisch arbeitete er sich durch die von Lust durchpulsten Wege und Passagen ihres Bewusstseins, angezogen von der Quelle ihrer außergewöhnlichen Magie. Das Licht, das er schließlich fand, war das Gegenstück zu seiner eigenen Dunkelheit. Einer Kristallkugel gleich, die sich auf einem Nebelbett über einer Fontäne aus sprudelndem Quellwasser drehte, präsentierte ihm sich Alvas magische Essenz. Die Kugel tanzte immer höher, in ihrem Inneren sah er die gefangenen Seelen, die sie benötigte, um die Flammen am Leben zu erhalten, die alles zu verschlingen drohten.
Instinktiv wusste er, was zu tun war. Julen webte ein Netz aus Schatten, das er in einem kurzen Moment des Innehaltens, als eines der Lieder verklungen war und die ihr ebenfalls machtlos ausgelieferten Musiker noch nicht mit dem neuen Song begonnen hatten, über die kristallene Kugel warf. Auf dem Monitor konnte er sehen, wie Alva strauchelte, als wollten die Fohlenbeine den Dienst verweigern.
Noch einmal rief er ihren Namen und dieses Mal hörte sie ihn. Ich bin bei dir, du brauchst keine Angst mehr zu haben!
Angst? In seinem Kopf erklang ein schrilles Lachen. Das war das Geilste, was ich bisher in meinem ganzen Leben erlebt habe. Gib es mir zurück!
Dankbarkeit sah anders aus. Doch er verstand die rasende Wut, die aus der Enttäuschung geboren war. Diese Lust war wie ein Strudel aus Höllenfeuer, der den Unerfahrenen gnadenlos in die Tiefen der Verdammnis zog.
Das ist nichts gegen die Macht, die du haben wirst, wenn du lernst, den Drachen zu reiten, anstatt ihn zu töten! Er versprach, sie zu lehren diese Kräfte zu beherrschen, mit ihr gemeinsam die Wellen der Magie emporzupeitschen und die Finessen wahrer Leidenschaft zu genießen.
Die geflüsterten Verheißungen verfehlten ihre Wirkung nicht. Das ungezähmte, hungrige Wesen, das von ihr Besitz ergriffen hatte, hob wie ein silberner Drache seinen fürchterlichen Kopf und blickt ihn erwartungsvoll an. «Später!», flüsterte er und beobachtete voller Erleichterung, wie es sich allmählich in die Alva zurückverwandelte, die er liebte und die nun glücklicherweise mit ruhiger Hand zum Mikrofon griff und die letzten Lieder ihres Programms sang, ohne sich selbst oder andere ins Unglück zu stürzen.
Julen blieb in ihren Gedanken und hielt sein imaginäres Netz bereit für den Fall, dass er noch einmal würde eingreifen müssen. Zum Glück ging jedoch alles gut, und noch bevor der letzte Ton verklungen war, wartete er bereits hinter der Bühne auf sie.
Alva brachte tatsächlich noch die Kraft auf, sich beim Publikum zu bedanken. «Ihr seid toll! Ich liebe euch!», rief sie und entfachte prompt einen neuen Begeisterungssturm, der aber nichts mehr mit der krankhaften Ergebenheit einer verhexten Menge zu tun hatte.
Stolz beobachtete Julen jede ihrer Bewegungen und hatte die Arme bereits ausgebreitet, als sie auf ihn zugelaufen kam.
Alva stürzte sich in seine Umarmung. «Bring mich hier raus! Bitte, bring mich fort von hier.»
Bevor einer der Sterblichen auch nur einen Atemzug tun konnte, hatte er ihr ihren Wunsch erfüllt. Julen trug seine verängstigte Fee hinaus in die kühle Nacht und auf das nächstgelegene Dach.
Dort oben breitete er seinen Mantel aus, ließ sich neben ihr darauf nieder und legte schützend seinen Arm um ihre Schultern. Am liebsten hätte er das wunderschöne Gesicht, dem auch die Erschöpfung nichts antun konnte, mit seinen Fingerspitzen und Lippen liebkost. Doch der Aufruhr in ihrer Seele war sogar dann noch zu spüren, als er ihr innerstes Refugium längst wieder verlassen hatte. Was sie jetzt brauchte, war ein Freund und kein erotisches Abenteuer.
Sie dankte es ihm mit einem wohligen Seufzer, als sie den Kopf an seine Schulter legte. Danach blieben sie lange wortlos nebeneinander sitzen. In der Ferne hörte er, wie die Midnight Fairytales zu spielen begannen. Tom kam aus dem Gebäude, rief ein- oder zweimal Alvas Namen und die federleichten Berührungen von Feenmagie, die er schnell als zu Chris gehörend erkannte, erreichten sie. Sie machte sich große Sorgen, und wenn sie auch nicht verstand, was
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