Das Feenorakel
nicht wahr?»
«Manchmal gefällt es dir aber doch ganz gut ...» Das unverschämte Lächeln, mit dem er sie bisher immer um den Finger gewickelt hatte, schlich sich in seine Mundwinkel.
Natürlich dachte er an die vergangene Nacht. Es lag auf der Hand, dass er da ihre Gedanken gelesen hatte, denn wie hätte er sonst so genau wissen können, was sie sich gewünscht hatte und wie er sie am geschicktesten verwöhnen konnte? «Nimmst du überhaupt jemals irgendetwas ernst?»
Das Lächeln verschwand. «Du hast recht. Also gut, die Marmelade ist nicht aus dem Geschäft. Nicht direkt jedenfalls. Ich habe sie gestern zusammen mit der frischen Kleidung für dich aus eurer Proviantkiste im Bus geholt, während du unter der Dusche standest.»
«Sehr witzig.» Allmählich wurde sie ärgerlich.
«Ich kann es dir erklären. Aber bitte hör mich erst bis zum Ende an, bevor du dich noch mehr aufregst. Versprichst du mir das?» Alva nickte zögernd und das reichte ihm offenbar als Zustimmung, denn er sprach schnell weiter. «Es gibt eine Dimension, die wir Zwischenwelt nennen. Darin geschieht alles Mögliche, aber wir nutzen sie in erster Linie, um schnell und ungesehen große Entfernungen zurücklegen zu können.»
Wenn es stimmte, was er sagte, dann würde dies vieles erklären. Es war ja keineswegs das erste Mal, dass er plötzlich von irgendwoher aufgetaucht war, ohne dass sie sich erklären konnte, wie dies unter den geltenden physikalischen Gesetzen möglich gewesen wäre. Und warum sollte Julen lügen? Er hatte ihr gesagt, dass sie eine Fee sei. Wenig später waren die Erinnerungen an geheimnisvolle Besuche, unglaubliche Geschichten und vor allem ihre unsichtbare Begleiterin Nienibit wieder aufgetaucht. Dass Florentine sie gestern als Sirene bezeichnet hatte, änderte nichts daran.
So zu reisen war unglaublich praktisch. Sofort fielen ihr zahllose Situationen ein, in denen sie davon Gebrauch machen würde. Beispielsweise hätte sie sich das Kofferpacken sparen können und die schwierige Entscheidung, welche ihrer Kleider sie mitnehmen sollte und welche nicht. Man würde einfach durch die Zwischenwelt nach Hause gehen, sich dort umziehen, nebenbei noch den vergessenen Föhn einpacken und wäre trotzdem rechtzeitig vor dem Auftritt wieder zurück. «Mit wir, bin da auch ich gemeint?»
«So einfach ist es leider nicht. Und um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob du Zugang hättest. Normalerweise dauert es sehr lange, bis man diese Fähigkeit erlangt. Vielen gelingt es niemals.»
«Aha. Schade, dann muss ich wohl noch ein paar Jahre damit warten.» Die Art, wie er auf ihre Bemerkung reagierte, gefiel ihr nicht. Doch vielleicht hatte er sich wirklich nur verschluckt. Dieser Gedanke erinnerte sie an die nächste Frage. «Und warum habe ich dich noch nie etwas essen sehen?»
Es war Julen anzusehen, dass er sich nicht wohl dabei fühlte, diese Frage zu beantworten. Schließlich sagte er: «Wir brauchen nicht zu essen.»
«Jetzt nimmst du mich aber wirklich auf den Arm. Also ich muss definitiv essen.» Sie schob sich genüsslich einen weiteren Brocken des eingetunkten Croissants in den Mund und leckte danach jeden einzelnen Finger ihrer Hand ab. «Mhm! Du weißt ja gar nicht, was dir da entgeht.» Ein Blick in sein Gesicht genügte und das Lachen verging ihr. «Du weißt es, weil du früher essen konntest! O Himmel, Julen! Das habe ich nicht gewusst, es tut mir leid! Aber warum ...?»
Er nahm ihre Hand und küsste die von ihrer Zunge noch feuchten Fingerspitzen. Ihr Blut kochte. «Es muss dir nicht leidtun. Und du brauchst auch keine Sorge zu haben, in absehbarer Zeit auf das Essen verzichten zu müssen, wenn es dir so viel Freude bereitet.» Seine Lippen liebkosten ihre Handinnenfläche. Doch gerade, als Alva glaubte, sie müsse vor Lust vergehen, ließ er sie los und stand auf.
Ihr kam es so vor, als hätte sie gerade etwas sehr Kostbares verloren.
Ihm schien es nicht anders zu ergehen. Er schlang die Arme um seinen Körper, als wollte er sich selbst Halt geben. «Ich bin nicht wie du. Wir sind das Dunkel zu eurem Licht, von den Göttern dazu verdammt, in ewiger Dunkelheit zu leben. Alva, ich bin ein Dunkelelf.»
Vergeblich wartete sie darauf, dass er sich wieder zu ihr umdrehte. Konnte es sein, dass er sie nicht anschauen wollte, weil er ihre Reaktion auf diese Eröffnung fürchtete? Sie schlug die Bettdecke beiseite, griff nach seinem Hemd, das noch vom Vorabend am Boden lag, und streifte es über. Während sie
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