Das ferne Leuchten - das Marsprojekt ; 1
bei der Entnahme verzählt. Aber bei Säcken? Nein. Zähl noch mal nach.«
»Aber ich hab schon zweimal…«
»Zähl noch mal nach, habe ich gesagt«, wiederholte seine Mutter mit jenem scheinbar honigsüßen Unterton, der einem elterlichen Unmutsausbruch vorauszugehen pflegte. Also verzog sich Ronny ohne ein weiteres Wort und schlappte lustlos zurück in Gang E, fest entschlossen, sich diesmal viel, viel Zeit zu lassen.
Fach 33. Große, braune Säcke, in deren Verschlussnaht ein Etikett aus Plastik eingenäht war, auf dem stand: Bandnudeln. Juni 2085. Und genau dreizehn Stück davon. Das war ja nun wirklich nicht so schwer, bis dreizehn zu zählen.
Aber Mist, damit konnte er nicht schon wieder zurückkommen.
Er überlegte, ob er einfach behaupten sollte, es seien fünfzehn Säcke. Es würde schon niemand verhungern, nur weil am Tag vor dem Abflug zwei Säcke Nudeln fehlten, oder?
Da fiel sein Blick auf die Schleifspur am Boden.
Eine Schleifspur? Ronny ging in die Hocke, um sie genauer zu betrachten. Eindeutig. Jemand hatte einen schweren, weichen Gegenstand durch den Staub gezogen. Den winzigen braunen Fasern nach zu urteilen einen Sack.
Oder zwei.
Das war insofern merkwürdig, weil man gewöhnlich mit einem kleinen Schiebewagen durchs Lager fuhr, wenn man Lebensmittel holen musste. Niemand zerrte Säcke über den Boden.
Außerdem, fiel Ronny auf, führte die Schleifspur in die falsche Richtung. Sie begann auf dem Boden vor dem Fach E33, führte aber nicht zur Tür, sondern in den hinteren Teil des Lagers.
Ein Nudeldieb? Womöglich hatte der auch die Konserven auf dem Gewissen, die Erbsen, Möhren, Linsen, die eingemachten Äpfel…
»Ronald?«, hörte er seine Mutter rufen. »Bist du eingeschlafen?«
»Ich komme gleich«, rief Ronny zurück. »Ich zähl nur sicherheitshalber ein fünftes Mal nach.«
Seine Mutter erwiderte irgendetwas, was er nicht verstand. Es klang jedenfalls nicht besonders begeistert.
Leise folgte er der Schleifspur, wobei er sich bemühte, sie nicht zu verwischen, um sie nachher auch vorzeigen zu können. Wohin um alles in der Welt mochte der Nudeldieb seine Beute geschleppt haben? Dort hinten gab es keinen Ausgang, keine Tür, nichts – abgesehen von …
Oha. Ja, einer der Mäusegänge hatte eine Verbindung zu diesem Lager. Früher waren sie oft zu viert durch die engen Röhren gekrabbelt und hatten allerlei Unsinn angestellt, aber seit Carl und Ariana zu groß dafür geworden waren und fast nirgends mehr durchpassten, waren die Mäusegänge nicht mehr interessant.
Eine Metallplatte verschloss die Öffnung. Allerdings war es Ronny höchstpersönlich gewesen, der seine Mutter einmal hierher begleitet und in einem günstigen Moment den Verschluss gelöst hatte. Später waren sie unbemerkt hereingekommen und hatten Süßigkeiten gemopst, Trockenfrüchte und eingelegte Beeren und die bunten Zuckerstangen, die es viel zu selten gab.
Ronny war also nicht wirklich überrascht, dass er, als er die Klappe öffnete, Elinn sah, die neben zwei Säcken und einem Haufen Konservendosen in dem Mäusegang saß und ihm mit aufgerissenen Augen und dem Zeigefinger vor dem Mund bedeutete, still zu sein.
14
Elinns geheimer Plan
»Was machst du denn hier?«, flüsterte Ronny.
»Na was wohl«, zischte Elinn zurück. »Ich sichere mir ein paar Vorräte.«
»Wozu das denn?«
»Ich gehe nicht mit zur Erde. Ich bleibe hier. Und da brauch ich für den Anfang was zu essen.«
»Hier bleiben? Du bist ja verrückt. Du kannst doch nicht alleine…«
Aus dem Hintergrund erklang plötzlich wieder die Stimme seiner Mutter. »Ronny?«
Er fuhr herum. Von hier hinten aus sah der große Raum unheimlich aus mit all den langen Regalen und den funzligen Lampen in den Gängen dazwischen. »Ich komme gleich!«, rief er und hoffte, sie würde nicht heraushören, dass er nicht im Gang E war.
»Sag mal, wo bist du überhaupt?«, kam es zurück.
Elinn bedeutete ihm, die Platte zurück an ihren Platz zu schieben. »Komm nachher ins Versteck«, flüsterte sie ihm zu. »Und verrat mich bloß nicht!«
»Großes Ehrenwort«, nickte Ronny, verschloss das Schlupfloch und huschte zurück. Diesmal lief er absichtlich über die Schleifspur, um sie zu verwischen.
Als er sicher war, dass er alle Spuren direkt vor dem Regal beseitigt hatte, rief er seine Mutter. Sie musste zugeben, dass aus dreizehn Säcken keine fünfzehn wurden, so oft man sie auch zählte.
»Irgendwie kommt mir das seltsam vor«, sagte sie, das
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