Das Fest der Köpfe
Dann würde es klappen.
Der Schlüssel drehte sich zweimal, die Tür schwang nach innen. Ich hatte den Kopf ein wenig zur Seite gedreht, um sie beobachten zu können. Die Augen waren nur mehr Schlitze, und ich hörte das metallene Geklapper, das sich verstärkte, als sich mir ein Gestell auf Rollen näherte, das aussah wie eine halbrunde, fahrende Kabine, von dessen oberer Stange ein Vorhang herabhing, der von Rollen gehalten wurde. Es war einer dieser weichen Plastikvorhänge, die lautlos schwangen und höchstens mal ein Rascheln verursachten. Hereingeschoben wurde das Gestell von einem alten Bekannten. Es war einer der beiden Pfleger. Seinen Kollegen sah ich auch. Er war an der Tür stehengeblieben und hatte die Arme in die Seiten gestützt. Dr. Stepanic und Schwester Angela sah ich nicht.
Die Pfleger hatten für mich keinen Blick. Sie rechneten mit der Wirkung der Spritze.
Nicht weit von meinem Bett entfernt wurde das Gestell gedreht, so daß mein Blick gegen den Vorhang fiel. Der Pfleger gab seinem Kollegen ein Zeichen. Der Mann verschwand für einen Moment. Als er wieder auftauchte, schob er ein Bett vor sich her.
Darin lag der alte Mann.
Alles wirkte so, als würden sie einen Toten hereinschieben. Die Decke war sehr weit hochgezogen. Sie verbarg einen Teil des Kopfes. Ich war irgendwie froh, daß er mir sein Gesicht nicht zudrehte. Das Bett rollte lautlos dem Gestell entgegen und verschwand hinter dem Vorhang.
Die Pfleger flüsterten miteinander. Ich verstand nur Fragmente. Sie sprachen von einer Lampe.
Jemand holte sie.
Durch die Augenschlitze sah ich hinter dem Vorhang eine helle Stelle. Dort fiel das Licht gegen den Plastikstoff und breitete sich wie ein Schwamm aus.
»Hier kann er die letzten Stunden verbringen.«
»Wann wird er den sterben?«
»Das kann noch Tage dauern.«
»Weiß du, wie er mir vorkommt?«
»Nein.«
»Dann sage ich lieber nichts.«
»Warum nicht, Mann?«
»Schon gut. Laß uns gehen.«
»Und Sinclair?«
»Der hat eine Ladung abgekriegt, die ihm alles aufreißt. So leicht steht der nicht mehr auf.«
»Auf Stepanic ist Verlaß.«
»Jedenfalls können wir beim Fest mitmachen. Hast du die Weiber gesehen? Die sind sogar aus anderen Orten gekommen. Ich kann dir sagen, die sind heiß.«
»Dann kühlen wir sie ab.«
»Ja, mit dem großen Schlauch!« Der Mann lachte rauh, dann verschwand er aus dem Zimmer. Ruhe, Stille… Ich öffnete die Augen. Es war wieder dunkler geworden, und nur hinter dem Vorhang brannte das Licht. Eine einsame helle Quelle, die mich nicht erreichte. Sie verteilte sich innen auf dem weichen Plastik.
Innerhalb des Lichtflecks erkannte ich den Schatten. Er war kantig, viereckig. Das Bett mit dem Sterbenden, von dem ich nichts hörte. Er war sehr still, völlig ruhig, kein Röcheln drang aus seinem bestimmt offenen Mund, ich hörte ihn nicht stöhnen oder seufzen. Er war da und trotzdem nicht vorhanden.
Eigentlich hätte ich mich um ihn nicht zu kümmern brauchen. Trotzdem störte er mich.
Den tieferen Grund dafür kannte ich nicht. Ich war eigentlich nicht besonders empfindlich, es hätte mir nichts ausmachen sollen, aber, verdammt noch mal, das Wissen, daß jemand hinter dem Vorhang lag, der jede Minute sterben konnte, bereitete mir schon Unbehagen. Was passierte, wenn er plötzlich Schmerzen bekam und Hilfe brauchte?
Ich konnte ihm nicht helfen. Klar, ich würde aufstehen können, ihm vielleicht Trost zusprechen, aber eine direkte Hilfe konnte ich ihm nicht geben.
Das war schon komisch…
Vorbeisehen konnte ich auch nicht. Auch wenn ich mich auf die Seite drehte, würde ich ihn immer wieder sehen.
Der Lichtschein, so weich und warm er sich auch ausbreitete, gefiel mir gar nicht. Er war unheimlich und erinnerte mich an etwas, das plötzlich aufbrechen konnte, um den Schrecken zu entlassen.
Quatsch! redete ich mir ein. Absoluter Quatsch. Du machst dir selbst etwas vor. Es wird Zeit, daß die Krankenschwester erscheint und dich hier herausholt.
In mir steckte eine Unruhe, die kribbelte, als wäre sie aus unzähligen Ameisen zusammengesetzt. In den Fingern kribbelte es ebenso wie in den Beinen.
Ich dachte an Angela, meine Verbündete. Die Schwester ließ sich verdammt viel Zeit. Okay, sie hatte keinen genauen Termin genannt, aber das spielte keine Rolle in meinen Überlegungen. Meine Nervosität wurde dadurch nicht geringer.
Längst mußte die Dämmerung über das Land herabgesunken sein. Die Schatten innerhalb des Zimmers verstärkten sich. Sie
Weitere Kostenlose Bücher