Das Fest der Köpfe
nicht. Und sie hat keinen Kopf in ihr Fenster gestellt. Das Licht hätten wir längst gesehen.«
»Ist das Schlafzimmer oben?«
»Ja.«
Suko schritt die Treppe hoch. Bei jedem Stufenwechsel verzog er das Gesicht, weil sein Gewicht die alten Holzstiegen schrecklich knarren ließ. Jeder Laut erklang in diesem Haus doppelt so stark. Er breitete sich aus, in den Wänden schienen die Geister und Gespenster zu hocken, die nicht befreit werden konnten und ihre Seelen schreien ließen. Der schmale Flur oben war so eng und niedrig, daß Suko sich ducken mußte. Der Vergleich mit einer Streichholzschachtel kam ihm in den Sinn. Die Decke über seinem Kopf war nicht zu erkennen, nur mehr eine schwarze Masse.
Er drehte sich um.
Neill war auf der vorletzten Stufe stehengeblieben und deutete auf den Schatten einer Tür. »Dahinter liegt das Schlafzimmer.«
Suko hatte bereits gesehen, daß unter der Tür ein schmaler Lichtstreifen war. Allerdings in einer Farbe, die etwas ins Rötliche ging und auch nicht so kalt war wie elektrisches Licht. Es konnte von einer Kerze stammen oder von einer Ölleuchte.
»Ich gehe nicht«, bibberte Neill.
»Ja, bleib hier.«
Die Tür hatte eine sehr schmale Klinke. Als Suko sie umfaßte und niederdrücken wollte, streiften seine Knöchel das Türholz. Er drückte sie vorsichtig herunter. Bei diesen alten Türen klemmte immer etwas, so war es auch hier.
Suko hatte kein gutes Gefühl. Noch stand er in der realen Welt. Wenn er diese Tür jetzt öffnete, konnte es sein, daß ihn die Hölle erwartete oder zumindest die Vorhölle. Wieder duckte er sich, um nicht mit dem Kopf gegen den Balken zu stoßen.
Auch die Tür knarrte häßlich. Unter seinen Sohlen bewegten sich die alten Dielen.
Nein, es war keine Hölle oder Vorhölle. Den Gedanken konnte er vergessen. Vor ihm lag das schmale Zimmer mit dem offenstehenden Fenster, durch das es kühl herein wehte, so daß die sechs Kerzen des Leuchters ihr Flackerlicht abgeben konnten.
Der Leuchter stand so, daß sein Licht besonders über ein Bett fallen konnte.
Und darin lag eine Gestalt.
Suko sah nur schwache Konturen. Sein Blick verhärtete sich. Er mußte näher heran, um sie besser erkennen zu können. Das bleiche Gesicht hatte er gesehen, darunter jedoch, ungefähr in Halshöhe, war alles dunkel. Den Grund sah er wenige Sekunden später.
Jemand hatte den Hals der Frau mit einem Biß aufgerissen!
***
Ein Tier, ein Mensch, ein Höllenwesen?
Suko spürte das klebrige Grauen in seinem Innern. Das Kerzenlicht bewegte sich. Es schuf nach wie vor die Atmosphäre einer fremden Welt.
Aber sie war nicht fremd.
Suko befand sich in der Realität. Diese Frau im Bett war ein Opfer, sie war keine Halluzination.
Er drehte den Kopf, weil sich hinter ihm das Holz des Bodens bewegt hatte.
Neill kam näher. Er hielt den Kopf schräg, damit er an Suko vorbeischauen konnte.
»Sie ist tot!« Suko trat zur Seite. Er versperrte damit den Blick auf die Leiche.
Der Küster schlug ein hastiges Kreuzzeichen. »Das kann nicht wahr sein! Wer hat sie denn…?«
»Ich weiß es nicht.« Neill begann zu zittern. Er drückte die Hände ineinander und bewegte klimpernd die Augen. Die Haut an seinen Wangen zuckte ebenso wie die am Hals.
»Ist sie — ist sie normal gestorben?« Er schaute Suko beinahe flehend an, als wünschte er, daß sie einen normalen Tod erlitten hatte und nicht umgebracht worden war.
»Ich glaube nicht…«
Neill schwieg. Auch Suko hielt den Mund. Es war alles sehr unwirklich. Durch das offene Fenster drangen die Gesänge der durch die Straßen und Gassen ziehenden Menschen. Manchmal übertönt oder unterbrochen durch schrille Musik alter Instrumente. Die Zeit stand still…
Neill bewegte die Lippen. »Mörder«, hauchte er. »Es muß ein Mörder hier gewesen sein! Aber wer…?«
Suko hob die Schultern. »Ich weiß es nicht, Neill. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Sie hat keinem was getan!«
»Ihr Mann vielleicht?«
»Nein, der auch nicht, glaube ich. Arme Mary.«
»Es kann Nolan gewesen sein«, sagte Suko.
»Wieso?«
»Man hat sie auf eine schlimme Art und Weise getötet. Ihr Hals ist zerfetzt worden, als hätte jemand mit einem Prankenhieb zugeschlagen. Ein Panther oder Tiger.«
»Aber die gibt es hier nicht!«
»Das weiß ich. Deshalb werde ich auch einen anderen Verdacht einfach nicht los.«
Der Küster kapierte schnell. Seine Augen leuchteten auf, weiteten sich in namenlosem Schrecken. »Sie — sie ist doch nicht etwa von ihrem
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