Das Fest der Pferde
auf den Rücken und schloß die Augen. Bille paddelte um ihn herum. Plötzlich sah sie vor ihren Augen etwas aus dem Wasser steigen, das einer gewaltigen Qualle glich, es wölbte sich und wuchs zur Größe eines Luftballons, bewegte sich leicht im Wind und wuchs immer noch.
„Verdammt!“ murmelte Bille. „Ich hab’s ja gewußt. He, du! Mach mal die Augen auf!“
„Was ist das um Himmels willen?“
„Dein kunstvoller Plastikverband, der angeblich jedem Wasser trotzen sollte! Los, raus an den Strand, eh der ganze Gips davonschwimmt!“
Simon schimpfte leise und trat den Rückweg an. Die lose um sein Bein schwimmenden Plastikteile behinderten seine Bewegungen stark, und er kam nur mühsam vorwärts. Gestützt von Bille humpelte er durch die Brandung und ins Trockene. Sofort versuchte Bille, das nasse Zeug zu entfernen, aber fünf Meter Leukoplast machten es fast unmöglich.
„Hast du eine Schere dabei?“
„Nein, warum?“
„Ohne Schere kriegen wir das nie ab. Okay, ich spanne schnell an, und dann fahren wir sofort nach Hause. Komm du mit Krischan in aller Ruhe nach.“
Wie zu erwarten war, heulte der kleine Christian los, als er hörte, daß der Spaß ein so jähes Ende fand. Bille packte hastig die Tasche und lief über den Deich zur Koppel, während Simon dem Kleinen die unglaublichsten Versprechungen machte für den Fall, daß er jetzt sofort still sei und sich brav seine Hose anziehen ließ. Bei dem Wort ,Eis’ versiegte der Tränenstrom so plötzlich, wie er ausgebrochen war.
„Fahren wir gleich beim Arzt vorbei, damit du einen frischen Gips kriegst?“ fragte Bille, als sie endlich alle im Wagen saßen.
„Bist du verrückt? Glaubst du, ich will mich auslachen lassen? Nein, erst mal müssen wir das Plastikzeug da runterkriegen. Fahr nach Wedenbruck , deine Schwester Inge wird in ihrem perfekten Haushalt ja wohl eine Schere haben.“
„Okay.“
An dem kleinen Strohdachhaus angekommen, das Inge mit ihrem Mann Thorsten bewohnte, schirrte Bille die Ponys aus und führte sie auf den Wäscheplatz neben der Werkstatt. Dort gab es saftiges Gras, einen Brunnen, aus dem sie trinken konnten und ein ausbruchssicheres Tor, das Zottel am Weglaufen hinderte.
Währenddessen war Simon mit dem kleinen Christian, der ständig ,Will Eis! Will Eis!’ von sich gab, ins Haus gehumpelt, weiß-schlammige Pfützen auf dem Boden hinterlassend, und hatte sich erschöpft auf den nächstbesten Stuhl fallen lassen.
„Na?“ rief Bille fröhlich, als sie das Haus betrat. „Alles klar?“
„Nichts ist klar!“ maulte Simon. „Der Kleine hat die Hosen voll, will sofort ein Eis, und ich will endlich eine Schere.“
„Moment, mein Schatz. Und du hältst jetzt sofort die Klappe, Krischan , sonst gibt’s kein Eis!“
Krischans Mund schnappte zu wie eine Mausefalle.
„ Siehste !“ bemerkte Simon grinsend, was ihm einen strengen Blick Billes eintrug.
Sie holte eine Schere aus der Küche, brachte auch gleich Eimer und Lappen mit, um die Spuren von Simons seltsamen Plastikflossen zu beseitigen, dann verschwand sie mit dem Kleinen im Bad, um ihn zu säubern und ihm frische Hosen anzuziehen.
Nachdem sie die schmutzige Kinderwäsche ausgespült hatte, inspizierte sie Kühlschrank und Kühltruhe, richtete zwei Eisbecher mit Früchten her, stellte sie auf den Tisch im Wohnzimmer, brachte Bilderbücher, Papier und Malstifte und legte sie daneben.
„Ihr eßt jetzt euer Eis, und dann spielt ihr schön. Ich mache inzwischen das Abendbrot fertig. Wie sieht dein Gips aus?“
„Feucht.“
„Ist er noch heil?“
„Scheint so. Vielleicht sollten wir’s mal mit einem Fön versuchen.“
„Das könnte gehen. Ich bringe ihn dir.“ Besorgt schaute Bille aus dem Fenster. „Ich dachte, wir könnten draußen essen. Aber es gibt ein Gewitter, schau dir die schwarzen Wolken dahinten an!“
„Tatsächlich. Haben wir ein Glück, daß wir nicht mehr am Strand sind. Na komm, Krischan , ich male dir ein Pferd.“
„Ein Zottel!“
„Okay, einen Zottel.“
Bille ging leise hinaus. In der Küche suchte sie zusammen, was sie für das Essen brauchte: Schnitzel, eine Dose feines Gemüse, Käse- und Schinkenscheiben, Kartoffelkroketten aus der Kühltruhe. Zum Nachtisch gab es gezuckerte Erdbeeren mit Sahne, die hatte Inge schon hergerichtet.
In der Eßecke deckte Bille den Tisch mit einem Strauß bunter Sommerblumen, Inges hübschem Keramikgeschirr und rotgrün karierten Leinenservietten. Dann setzte sie das Öl für die
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