Das Fest der Schlangen
schaffen würden. In der Stadt wimmelte es von Fernsehteams, Radio- und Zeitungsreportern. Major Lancelotti, stellvertretender Superintendent und Außendienstchef, hatte schon zweimal angerufen, und einmal Colonel Schaeffer, der Chef der State Police. Als Nächstes rechnete Brotman mit einem Anruf des Gouverneurs. Er hoffte immer noch, dass es ein Scherz war, doch eigentlich war es keiner mehr, denn die ganze Sache ließ ihn von Minute zu Minute schlechter aussehen. Missgeschicke nagten an ihm, als würde er von Schwänen zu Tode geknabbert. Fernseh- und Rundfunksender fragten sich, warum die Polizei nicht mehr getan hatte, und das Providence Journal hatte einen kritischen Leitartikel gebracht. Immer wenn Brotman das Revier betrat oder verließ, fielen sie über ihn her. Die Entdeckung der Leiche Benjamin Cloustons und der anderen Sachen auf der Insel war das Sahnehäubchen auf der Torte, aber noch während ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, fragte er sich, wieso er glaubte, dass es nicht noch schlimmer werden konnte. Als er eine Stunde zuvor zum Polizeirevier gekommen war, hatte ein Reporter ihm die Frage zugerufen, ob Brotman die Absicht habe, die Nationalgarde hinzuzuziehen. Am liebsten hätte Brotman seine vorzeitige Pensionierung beantragt, doch er wusste, dass er gefeuert werden würde, bevor er die Formulare ausgefüllt hätte.
Als Woody in den Besprechungsraum kam, hatte er den Eindruck, Brotman sei um zehn Jahre gealtert. Er wirkte weniger groß, weniger imposant. Von der beruhigenden Ausstrahlung, die er in der vergangenen Woche gezeigt hatte, war nichts mehr zu spüren. Er nickte Woody zu, und der nickte zurück.
Hoffentlich gibt er nicht mir die Schuld an irgendwas , dachte Woody, und dann wurde ihm klar, dass hier alle das Gleiche dachten, angefangen mit Brotman. Leute, suchen wir den Sündenbock .
Bobby kam eilig herein und setzte sich Woody gegenüber an den Tisch. Er sah Woody an und zwinkerte. Woody fand, dass Bobby aufreizend vergnügt aussah.
Bingo Schwartz kam herein und summte irgendetwas Grauenhaftes vor sich hin. Woody sah mindestens zehn Männer und Frauen, die gute Lust hatten, Schwartz zu sagen, er solle damit aufhören. Woody ging es genauso. Dann dachte er: Wird Zeit, dass ich mit meinen Atemübungen anfange .
Detective Lajoie trug den schlimmsten Hosenanzug, den Woody jemals gesehen hatte, und dazu passend eine entsetzliche Goldkette und entsetzliche goldene Ohrringe. Detective Gazzola starrte sie mit erhobenem Bleistift und offenem Mund an. Schließlich riss er seinen Blick von ihr los wie einer, der sich von einem Autounfall abwendet. Captain Brotman erwog, eine Bemerkung zu dem smaragdgrünen Hosenanzug zu machen, ließ sich ein paar Möglichkeiten durch den Kopf gehen und entschied sich für Schweigen.
Der kommissarische Polizeichef Bonaldo stürmte herein. »Sorry, sorry.« Er stolperte und stieß gegen den Stuhl des FBI -Agenten, der ihn anfuhr: »Muss das sein …?«
»Sorry, sorry!« Bonaldo nahm Platz und betupfte sich mit einem grauen Taschentuch die Stirn. Er sah Woodys Blick und lächelte nervös – wie ein kleiner Junge, dachte Woody, der zum Schulleiter gerufen worden ist. Er wollte wegschauen, aber dann lächelte er zurück. Seine Wangenmuskeln machten ein Geräusch wie eine knarrende Tür.
So kamen sie einzeln und zu zweit herein, bis sechzehn Personen am Tisch saßen. Glücklich sah keiner aus, auch wenn Detective Lajoie ein selbstzufriedenes Gesicht machte. Wahrscheinlich klopft sie sich selbst auf die Schulter, weil sie diesen Hosenanzug so günstig gekriegt hat , dachte Woody. Wenn das noch eine Woche so weitergeht, werden wir uns gegenseitig erschießen. Einen Augenblick lang hörte man nichts als das Summen der Leuchtstoffröhren.
Captain Brotman stand auf und starrte unbewegt auf ein Blatt Papier auf dem Tisch. Er räusperte sich. »Benjamin Clouston wurde durch einen einzelnen Schuss in die Stirn getötet, abgefeuert aus Hartmanns Neun-Millimeter-Browning. Die Patronenhülse, die auf dem Boden gefunden wurde, passt zu der Winchester-Munition in Hartmanns Schachtel. Das Projektil hat das Gehirn durchschlagen und ist Gott weiß wo gelandet. Als Clouston gefunden wurde, war er seit etwa vierundzwanzig Stunden tot. Sein Toyota Solara stand auf dem Parkplatz einer Sportanlage in Tuckertown, ungefähr eine halbe Meile weit von der Insel entfernt. In der Umgebung der Leiche und auf dem Weg zwischen ihr und dem Ufer fanden sich Abdrücke von Timberland Pro
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