Das Fest der Schlangen
wirr im Kopf. Zu ernsthafter Planung wäre er nicht fähig. Er ist impulsgesteuert. Irgendetwas hat er jedoch damit zu tun. Ich weiß nur noch nicht, was.«
Montesano und sein Team kamen gegen Mitternacht und schleppten ihre Scheinwerfer an den Strand. Die Flut war im Anmarsch, aber vier oder fünf Fußabdrücke waren noch sichtbar. Ob sie Blutflecken finden würden, war eine andere Frage. Woody ging ihnen entgegen. Der Wind war stärker geworden, und es war kälter.
»Ich habe komplizierte Neuigkeiten für Sie.« Montesano drehte den Rücken in den Wind und schlug seinen Kragen hoch.
»Was?«
»Die Asche, die wir auf der Insel ausgegraben haben, an der Feuerstelle. Und die Knochenfragmente. Der Bericht von den Eierköpfen an der Uni ist gekommen. Ein paar der Knochen sind menschlich.«
Schneegestöber wehte spät am Donnerstagabend durch Brewster. Ein Mann, der mit seinem Hund unterwegs war, oder jemand, der aus dem Fenster ins Licht einer Straßenlaterne schaute, hätte gesehen, wie es von Westen herantrieb, und gedacht, es wäre noch zu früh für den Winter. Als Vorboten winterlicher Unwetter war es manchen nicht willkommen, andere dagegen, hauptsächlich die Kinder, sahen es mit Begeisterung. Baldo Bonaldo, der Hercels und der Mädchen wegen so spät noch auf war, schaute aus dem Fenster und rieb sich die Hände. Mit Schnee konnte man jede Menge Streiche spielen.
Nur die hartnäckigsten Blätter hingen noch an den Bäumen. Wind und Regen hatten in den letzten paar Tagen gründliche Arbeit geleistet, und den ganzen Tag über hatte man den Lärm der Laubbläser gehört. Früher hatten die Leute das Laub natürlich am Straßenrand zusammengeharkt und dann verbrannt, und nicht wenige in Brewster wünschten sich, das wäre immer noch so. Es fehlte ihnen, mit der Harke vor dem Feuer zu stehen und gedankenvoll das Laub in die Mitte der Glut zu schieben. Der Rauchgeruch des brennenden Laubes fehlte ihnen. Laubbläser hatten nichts Romantisches an sich, doch das galt für vieles heutzutage – für Computer, Handys, Videospiele. Die Liste war lang.
Aber in dieser Nacht war kaum jemand mit seinem Hund unterwegs, und wer aus dem Fenster schaute und so jemanden sah, hielt ihn für tollkühn. Forderte er das Unheil nicht geradezu heraus? Die Morde an Hartmann, Clouston und Harriet Krause weckten bei vielen die Befürchtung, sie könnten die Nächsten sein. Welchen Bodensatz von Schuldgefühlen rührten diese Todesfälle auf? Gottesfürchtige Männer und Frauen verschlossen Türen und Fenster und ließen angstvoll die Jalousien herunter. Maud Lord befürchtete, jemand könnte sie erschießen, weil sie die aufgehängte Katze gefunden hatte. Jean Sawyer vom Brewster Brew lag neben ihrem Mann im Bett und versuchte ihren Liebesroman zu lesen, aber sie konnte nur daran denken, wie der Wind das Haus knarren ließ. Oder war es nicht der Wind?
Schwester Asherah und Schwester Isis in ihrem Farmhaus am Ende der Whipple Street hörten die Geräusche und wussten, dass das Unheil unterwegs war, auch wenn vor dem Haus ein Streifenwagen parkte. Beide befürchteten, der Polizist könnte eingeschlafen sein, bis Schwester Asherah ihm schließlich einen Becher Kaffee und ein Stück Schokoladenkuchen vorbeibrachte. Und rührte er es an? Nie im Leben! Er hatte von Hexen gelesen und wusste, was passieren konnte, wenn man ihr Essen aß. Er würde das ganze eklige Zeug dem kriminaltechnischen Labor an der Uni übergeben.
Ginger und Howard Phelps spielten wieder bis tief in die Nacht hinein Gin Rommée und verbrachten ungewöhnlich viel Zeit damit, in ihre Karten zu starren. Die warme Milch in ihren Gläsern wurde kalt. Das Telefon stand in Reichweite. Dachten sie an ihre Karten? Natürlich nicht. Ginger lauschte auf das Knacken und Schnalzen, das immer durch das Haus ging, wenn der Heizboiler sich einschaltete – Geräusche, die sie bisher nie gestört hatten. Howard dachte zum tausendsten Mal, dass er Carl Krause gar nicht hätte einstellen sollen, und wenn doch, dann hätte er ihn nicht feuern dürfen. Vielleicht hätte er Carl dafür bezahlen können, dass er ging, aber er hätte ihn nicht wütend machen dürfen. Wahrscheinlich war es einer der Gründe, weshalb Carl durchgedreht war. Ja, vielleicht war es der einzige Grund. Und würde Carl sich dann nicht rächen wollen?
In diesem Augenblick hörten sie ein lautes Krachen aus dem Salon. Ginger schrie auf. Howard sah einen Schatten. Das Fenster zerbrach, Glasscherben prasselten klirrend
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