Das Fest der Schlangen
nicht noch warten wollen?«
»Es muss heute Abend sein«, beharrte Margaret.
Zwei Stunden später saßen sie in einer der hinteren Nischen bei Tony. In der Bar waren noch zehn andere Gäste, neun davon Männer. Die meisten sahen aus wie das, was Jills Vater als »harte Kunden« bezeichnete. Im Fernsehen lief ein Footballspiel.
Margaret orderte einen Cosmo, und Jill nahm ein Budweiser.
»Kommen Sie oft her?«, fragte Margaret. »Ich nie. Na ja, ich war mal zum Lunch hier. Fettig, wissen Sie? Meine Kleider haben den ganzen Tag danach gerochen.«
Margaret hatte strähniges blondes Haar, an dem sie die ganze Zeit herumfummelte, es um einen Finger wickelte oder zurückstrich. Sie war schätzungsweise Ende zwanzig, und sie trug einen dunklen Regenmantel über einem grünen Rollkragenpullover. Ihr Gesicht war ständig in Bewegung, teils aus Nervosität, teils weil sie munter erscheinen wollte. Sie gehörte zu den Frauen, die Servietten zerrissen, die Etiketten von Bierflaschen abpulten und mit Zuckerpäckchen spielten. Jill hätte gern gesagt, sie solle sich entspannen, aber dann erklärte Margaret: »Ich habe Angst, dass sie mich umbringen.«
Jill zog den Kopf zwischen die Schultern. »Wer ist › sie ‹ ?«
»Dr. Balfour, zunächst mal – in ihm habe ich mich komplett getäuscht.«
Der Geschichte, die jetzt folgte, entnahm Jill, dass Balfours Beziehung zu Margaret genauso aussah wie die zu Schwester Spandex: Er lenkte sie ab, während nebenan etwas Schreckliches passierte – nur, dass das Opfer in diesem Fall kein Baby, sondern ein alter Mensch war.
»Jedes Mal, wenn ich mit ihn zusammen war, ist jemand verstorben, was mir jedoch erst am Donnerstag klar wurde, als drei Leute gestorben sind, drei gesunde Bewohner. Ich meine, › gesund ‹ , wenn man das Alter berücksichtigt. Dr. Balfour war gerade zurück zum Krankenhaus oder sonstwohin gefahren, und wir haben ihn angerufen, und er ist wiedergekommen. Volle drei Mal.«
Auch Jill erinnerte sich, dass in dieser Nacht in mehrere Häuser in Brewster eingebrochen worden und die Polizei in der ganzen Stadt herumgefahren war.
»Ich weiß, ich werde verhaftet, aber die Leute sollen wissen, was passiert ist. Man darf einfach nicht glauben, was er sagt.«
»Selbst wenn dann alle wissen werden, wie Sie sich benommen haben?«
»Selbst dann. Sie verstehen nicht. Er ist böse. Ich habe von diesen Satanisten in der Zeitung gelesen. Was sie da auf der Insel getan haben. Ich bin sicher, er ist einer von denen.«
Inzwischen hatte Jill einen kleinen Digitalrecorder auf den Tisch gelegt. »Seit wann läuft das mit ihm?«
»Ich hatte mich eine Woche vorher von Marty McGuire getrennt. Na ja, er hatte mit mir Schluss gemacht. Da kam Dr. Balfour seit ungefähr zwei Monaten ins Ocean Breezes. Wir hatten uns gegrüßt und so weiter, nur war er nie besonders nett zu mir. Eines Nachts kam er und fand mich weinend im Büro. Er wollte wissen, was los war, und dann …« Margaret zögerte, als suche sie nach dem richtigen Wort.
»Dann hat er Sie getröstet?«
»So fing es an, ja. Ich war so wütend auf Marty, dass ich mich von Dr. Balfour überall begrabschen ließ. Ich war den ganzen Sommer über mit Marty zusammen gewesen. Wir hatten davon gesprochen, uns zu verloben. Doch das mit Dr. Balfour … wir haben nichts wirklich Körperliches gemacht, über das bloße Anfassen hinaus. Ich meine, wir waren ja im Büro . Da hätte jemand hereinkommen können.«
»Und wann ist es dann passiert?«
Margaret machte ein verlegenes Gesicht. »In der nächsten Nacht. Da war ein leeres Zimmer.«
Sie erzählte, sie habe Dr. Balfour danach zwei- oder dreimal die Woche gesehen. Gesehen – das war ihre Formulierung, nicht gefickt . Nicht mit ihm Sex gehabt oder geschlafen . Sie hatte ihn »gesehen«. Und in diesen Nächten waren oft alte Leute gestorben. Natürlich, sie waren alt, und viele waren krank oder schwach, oder sie »ließen nach«. Sie wären jedenfalls bald gestorben, und nachts passierte es öfter als tagsüber. Sie gingen schlafen, sie atmeten immer langsamer und hörten dann auf. Das war’s. Margaret war nicht auf die Idee gekommen, es könnte etwas mit Dr. Balfour zu tun haben. Manchmal war er da, wenn es passierte, manchmal kam er dann auch später. Jedenfalls stellte er den Totenschein aus. Die meisten Verstorbenen wurden zu Brantley gebracht, und keiner von ihnen war Organspender.
»Ich fand dabei nichts Merkwürdiges. Das heißt, allmählich fand ich es doch. Es wurden mehr,
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