Das Fest der Schlangen
angenommen habe, nur weil alles so glattgelaufen ist, würde auch weiterhin alles glattlaufen. Ich habe wohl geglaubt, ich sei vom Glück gesegnet. Aber es ist, als sei mein ganzes Leben dazu bestimmt gewesen, auf diesen einen, unumkehrbaren Fehler zuzuführen: Ein Baby wurde geraubt. Als ich gestern Abend hörte, dass die Entbindungsstation vier Stunden lang unterbesetzt sein würde, habe ich es für nicht so wichtig gehalten. Ich war davon überzeugt, es würde schon nichts schiefgehen, weil das Schicksal nicht wollte, dass etwas schiefging. Jetzt ist ein Baby weg. Und wie eine Idiotin wünsche ich mir dauernd, ich könnte die Zeit zurückdrehen und alles noch einmal tun, nur diesmal richtig. Ist das nicht albern? Ich höre diese Worte aus meinem Mund kommen, und ich bin entsetzt.«
»Das ist menschlich«, sage Woody. Ihr Problem war nicht Dummheit, sondern Arroganz, aber vielleicht war das an sich auch eine Form von Dummheit. Er begriff, dass Dr. Fuller schon eine Menge getrunken hatte.
»Sind Sie verheiratet?«, fragte sie.
»Nein.« War es denkbar, ihr zu erzählen, er sei mehr oder weniger verlobt gewesen, aber seine Verlobte sei vor ungefähr einer Woche ausgezogen? Woody konnte sich jedoch nicht vorstellen, so etwas einer Fremden zu erzählen. Er hatte es nicht mal Bobby anvertraut.
Dr. Fuller lachte ohne Heiterkeit. »Ich hätte dreimal fast geheiratet. Jedes Mal habe ich meine Karriere vorgezogen. Das letzte Mal war, bevor ich nach Brewster kam. Ich habe mich gegen die Ehe entschieden und dagegen, Kinder zu bekommen. Ist es da nicht eine Ironie des Schicksals, dass meine Karriere durch ein verschwundenes Kind zerstört worden ist?«
Woody antwortete nicht.
Dr. Fuller trank einen Schluck aus ihrem Glas. »Ich könnte wirklich eine Zigarette gebrauchen. Schockiert es Sie, dass eine Krankenhausverwalterin immer noch raucht?«
»Ich bin nicht so leicht zu schockieren.«
»Was sollte ich Ihrer Meinung nach tun?«
Woody fand, dass sie hübsche Augen hatte, mandelförmig und dunkelbraun. »Als Erstes müssen Sie aufhören, sich selbst zu bemitleiden.«
Dr. Fuller brach in Tränen aus. Woody runzelte die Stirn. Sollte er sich entschuldigen? Er sah keinen Grund dafür. »Vorher werden Sie gar nichts tun können«, fügte er hinzu.
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. »Sie haben recht, Sie haben recht. Ich kann nichts tun.«
»Dann geben Sie sich Mühe. Sie können diese Sache nicht mehr aus der Welt schaffen. Sie müssen sich damit abfinden und nach vorn schauen. Andernfalls sind Sie im Arsch.«
Zorn funkelte in ihren Augen. »Haben Sie noch nie einen Fehler gemacht?«
»Jeder macht Fehler. Ihrer ist nur besonders schlimm.«
Dr. Fuller lehnte sich zurück und strich sich wieder das Haar aus der Stirn. »Ich habe das System heute Morgen bestellt. Baby LoJacks nennen die Schwestern es. Das Kuratorium wünscht meine Kündigung. Ich war schon auf dem Weg nach Hause, um den Brief zu schreiben, aber stattdessen bin ich hier gelandet. Sie wissen nicht, ob sie mich sofort rauswerfen oder lieber warten sollen, bis das Baby gefunden ist. Und sie machen sich Sorgen, sie könnten verklagt werden, womit ja zu rechnen ist. Ich habe versucht, mit Alice Alessio zu sprechen, konnte sie jedoch nicht finden.«
»Sie wurde heute Nachmittag nach Hause geschickt.«
»Ich weiß. Ich war auch bei ihrer Wohnung, aber sie war nicht da. Dann bin ich zu ihrer Mutter gegangen, doch die wusste nicht, wo ihre Tochter ist. Sie sagte, Alice habe ihr Handy abgeschaltet. Entweder das, oder der Akku sei leer. Ich bin noch mal zu ihrer Wohnung gefahren, aber sie war immer noch nicht da. Dann bin ich hergekommen.«
»Entschuldigen Sie mich kurz«, sagte Woody.
Bevor er draußen war, hatte er schon sein Handy in der Hand und wählte Fred Bonaldos Nummer. Bonaldo meldete sich nach dem zweiten Klingeln. »Ja?« Woody hörte einen winselnden Unterton in seiner Stimme – wie bei einem, der darauf wartet, angebrüllt zu werden.
»Haben Sie Alice Alessio überwachen lassen, und wissen Sie, wo sie ist?«
Bonaldo räusperte sich. »Ja, ich habe einen Mann dafür abgestellt.«
»Und?«
Bonaldo räusperte sich weiter geräuschvoll. »Er hat sie verloren.«
»Was soll das heißen, verflucht?«
Der kommissarische Polizeichef schwieg kurz. Dann sagte er: »Er hatte vor ihrer Wohnung geparkt und ist dann kurz weggegangen, um sich bei Subway ein Sandwich zu holen.«
»Und wie lange ist › kurz ‹ ?«
»Ich weiß es nicht. Als er
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