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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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zur Wohnung zurückkam, war sie nicht mehr da. Er und ein paar andere suchen jetzt nach ihr. Ich habe ihn wirklich angeschrien.«
    »Das wird uns gewaltig weiterhelfen.« Woody bremste sich, bevor er selbst anfing zu schreien. »Rufen Sie mich an, wenn Sie sie finden. Ich will es sofort erfahren.« Er beendete das Gespräch und ging wieder hinein zu Dr. Fuller. Wie er gesagt hatte: Jeder macht Fehler. Aber das machte die Sache nicht besser. Bonaldo hatte eine ordentliche Kopfnuss verdient.
    Die Frau war aufgestanden. »Was ist passiert?«
    »Die Schwester ist verschwunden. Bonaldo weiß nicht, wo sie ist.«
    »Ich glaube, ich fahre lieber nach Hause.«
    Davor hatte Woody Angst gehabt. »Tut mir leid, aber Sie können nicht fahren.«
    »Natürlich kann ich das. Mir geht’s gut.«
    »Lady, ich habe Jahre damit zugebracht, mir die Verwüstungen anzusehen, die betrunkene Autofahrer hinterlassen haben.« Woody senkte die Stimme. »Wenn Sie in Ihr Auto steigen, werde ich Sie festnehmen. Wollen Sie, dass das auch noch in die Zeitung kommt?«
    Einen Moment lang sah sie aus wie eine Fünfjährige. »Wie komme ich dann nach Hause?«
    Auch das hatte Woody vorausgesehen. »Ich werde Sie fahren müssen.«
    »Und mein Auto?«
    »Das müssen Sie morgen abholen.«
    Woody bezahlte, und sie gingen hinaus zu seinem Tundra. Er wollte sich für die Hundehaare auf dem Beifahrersitz entschuldigen, tat es dann aber doch nicht. Sie trug eine dunkle Jacke. Die Golden-Retriever-Haare würden grauenhaft darauf aussehen. Andererseits würde es ihr nicht schaden, wenn ihr Äußeres weniger perfekt wäre. »Schnallen Sie sich an.«
    »Sind Sie immer so barsch?«
    Er war überrascht. »Wie kommen Sie darauf?«
    »Sie sind schroff und mitleidslos.«
    Ein ganzes Sortiment von Antworten fiel ihm ein, angefangen mit »Mögen Sie schroffe Männer?« bis zu einem knappen »Fuck you«. Stattdessen sagte er nur: »Tut mir leid, ich bin einfach müde.«
    Sie wohnte in Narragansett und beschrieb ihm den Weg dorthin. »Wer sind Alices Freunde?«, fragte er und bemühte sich um einen sanfteren Ton.
    »Ich glaube, sie hat nicht viele. Die anderen Schwestern mögen sie anscheinend nicht, obwohl mir noch nicht aufgefallen ist, dass ihre Leistungen zu beanstanden wären … bis jetzt. Sie nennen sie Schwester Spandex. Sie flirtet mit den Ärzten.«
    Während der fünfzehnminütigen Fahrt redete sie über das Krankenhaus – über die Qualität des medizinischen Personals und die Veränderungen und Verbesserungen, die sie sich noch vorgenommen hatte. Unausgesprochen blieb, dass es zu diesen Verbesserungen jetzt nicht mehr kommen würde, zumindest nicht unter ihrer Ägide.
    Dr. Fuller wohnte in einer neuen Eigentumswohnung mit Blick auf die Bucht. Genau so etwas hatte Woody erwartet. »Möchten Sie noch hereinkommen?«, fragte sie.
    »Ich muss nach Hause. Ich habe Haustiere.« Bei dem letzten Satz kam Woody sich dämlich vor.
    »Tut mir leid, Sie müssen mich ja grässlich finden. Das sollte kein Annäherungsversuch sein.« Sie schwieg kurz und fuhr dann fort. »Ich habe Angst.«
    Auch das überraschte ihn. »Wovor?«
    Sie antwortete nicht.
    »Vor jemand anderem oder vor sich selbst?«
    »Vor mir selbst, glaube ich.«
    Das Meer, von dem Woody zwischen den Häusern ein kleines Stück sehen konnte, wirkte plötzlich bedrohlich. »Seien Sie nicht albern.«
    Sie öffnete die Tür. »Verzeihung. Ich stehle Ihnen Ihre Zeit.«
    Und so war er mit hineingegangen. Kurze Zeit später saß er an ihrem Küchentisch und trank Eiswasser, während sie sich Kaffee machte. Küche und Wohnzimmer waren wie Dr. Fuller selbst: edel und makellos.
    Sie sprach von ihren Ängsten, von ihrem Vater, der beim Militär gewesen war. Er hatte den Rang eines Colonels erreicht und sich dafür geschämt, dass er es nicht zum General gebracht hatte. Sie sprach von der Last des Scheiterns, von der Bedrückung, die es mit sich brachte. Jedes Mal, wenn sie das Gefühl hatte, in Selbstmitleid zu versinken, bat sie um Entschuldigung. Woody erzählte wenig von sich, berichtete nur kurz über seine Jahre bei der State Police. Irgendwann fragte er sich, wie sie wohl im Bett sein würde. Ich bin ein Idiot , dachte er dann. Er versuchte ihr zu sagen, sie könne noch etwas anderes tun, doch die Worte fühlten sich in seinem Mund unecht an. Sie betrachtete ihn mit Ironie im Blick.
    »Ich kann es nicht richtig ausdrücken«, sagte er. »Aber es stimmt. Solange Sie sich nicht selbst klarmachen, dass Sie immer noch

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