Das Fest der Schlangen
Gummiweihnachtsmann, der ganz verblichen und von den Zähnen des Hundes durchlöchert war und der quietschte, wenn man ihn drückte. Diesen Weihnachtsmann brachte Ajax ihm jetzt. Er setzte sich mit aufmerksamem Blick zu Woodys Füßen hin, quetschte den Weihnachtsmann immer wieder zusammen und forderte Woody heraus, ihm das Ding wegzunehmen. Am liebsten hätte Woody dem Hund einen gut gemeinten Klaps gegeben.
»Leg dich hin. Ich habe jetzt keine Lust, aufgemuntert zu werden.«
Statt sich in seinen Korb zurückzuziehen, legte Ajax sich zwei Schritte weit entfernt hin und starrte ihn mit sorgenvollen Augen an.
»Du kannst eine echte Nervensäge sein, weißt du das?«
Ajax klopfte mit der Rute auf den Teppich.
Woody drehte sich zur Seite, damit er ihn nicht mehr sehen musste. Er ließ die verschiedenen Ereignisse in Brewster vor sich Revue passieren und versuchte, sie zu einem Muster zu ordnen, aber die unerhörten Details lenkten ihn immer wieder ab. Warum skalpierte jemand im einundzwanzigsten Jahrhundert einen Menschen? Warum legte jemand eine Schlange in ein Kinderbett auf der Säuglingsstation? Dann die Vergewaltigungen von Peggy Summers und Nina Lefebvre mit der satanistischen Staffage. Warum? Und war Nina schwanger? Wenn sie Mittwochnacht geschwängert wurde, war das jetzt drei Tage her. Es würde noch zwei oder drei Tage dauern, bevor ein Schwangerschaftstest ein Resultat erbringen würde. Das wusste Woody von Susie, die zweimal gehofft hatte, sie wäre schwanger, und vier Tage lang bis zu ihrer Periode mit Teststreifen und einem Messbecher voll Pisse herumgemährt hatte. Woody hatte den Messbecher weggeworfen und einen neuen gekauft. Jedes Mal, wenn er das Ding im Küchenschrank sah, erinnerte es ihn an die Schwierigkeiten – und damit meinte er die Fehlschläge – in ihrer Beziehung.
Als er jetzt am Küchentisch saß, dachte er wieder an Susie. Es ärgerte ihn, sie so sehr zu vermissen, denn dass ihre Differenzen unvereinbar waren, hatte er schon lange gewusst. Sie zu heiraten, hätte bedeutet, seinen Job als Trooper aufzugeben, und das konnte er sich nicht vorstellen. Sie hatten so oft darüber gesprochen, dass er diese Diskussionen wörtlich wiederholen konnte, einen zwanzigseitigen Dialog, den er als Einakter auf die Bühne hätte bringen können, und zwar unter dem Titel Der unglaubliche Blödmann .
Doch dann erlebte Woody eine Überraschung. Als er Susies Gesicht heraufbeschwor, sah er plötzlich Jill Franklin vor sich. Er zuckte zurück. »Meine Güte, was für ein lächerlicher Trottel du bist«, sagte er laut.
Ajax stand auf, wedelte mit der Rute, und Woody kraulte ihm die Ohren. »Beruhige dich, ich bin bloß wieder mal dämlich.« Aber er dachte weiter an Jill – an ihr kurzes blondes Haar, ihr rundes Gesicht, ihre Stupsnase. Sah sie nicht albern aus? Er fand nicht.
Am Nachmittag beim Kaffeetrinken hatten sie nicht über das gesprochen, was in der Stadt vorging. Jill hatte nicht gewollt, dass Woody dachte, sie wolle ihm Informationen aus den Rippen leiern. Stattdessen hatten sie über ihren sechsjährigen Sohn gesprochen und darüber, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie nicht mehr Zeit mit ihm verbrachte, obwohl ihre Eltern sich gern um ihn kümmerten. Aber ihr Sohn – hieß er Luke? – wünschte sich einen Hund, und ihre Eltern wollten keinen Hund im Haus haben. Also war’s das.
Woody hatte nicht viel gesagt, hatte Dinge nur erwähnt, statt darüber zu sprechen. Er hatte erwähnt, dass er in Pawtucket aufgewachsen war. Er hatte erwähnt, dass es ihm dort langweilig gewesen war. Er hatte Jagdausflüge nach New Hampshire erwähnt, den Irak und Operation Desert Storm, ein alberner Name, weil er dabei monatelang gar nichts getan hatte. Er hatte nicht erwähnt, dass er bei einem Raketenangriff auf ein Armeelager in Dhahran eine Scheißangst gehabt hatte. Er war da nur durchgefahren und hatte haltgemacht, um etwas zu essen. Aber seitdem, so schien es, hörte er das Gebrüll und Geschrei jede Nacht, selbst jetzt noch, wenn er besonders gestresst war. Warum sollte er ihr solche üblen Geschichten erzählen? Er erwähnte auch seine Launenhaftigkeit nicht, seine Ehe mit Cheryl oder die Zeit mit Susie. Er sprach nicht gern über sich, denn es bedeutete, an einen Ort zurückzukehren, der ihn entweder langweilte, ihm Angst oder Gewissensbisse machte. Er sagte auch nicht, dass es ihm bei der State Police gefiel, weil dort alles klar war – nicht der Kram, mit dem man es zu tun hatte,
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