Das Fest der Zwerge
sie in eines der Gemächer des Königs.
Einige Lämpchen brannten, der Herrscher der Zweiten hatte es sich auf einer weichen Liege bequem gemacht.
Boëndal fiel sofort auf, dass Gundrabur Weißhaupt sehr, sehr alt geworden war und die Kraft aus ihm wich. Die Lebensessenz in seinem Inneren glomm lange nicht mehr so wie früher, doch wer mehr als fünfhundert Zyklen kommen und gehen gesehen hatte, durfte allmählich schwächer werden. Kämpfen musste er nicht mehr.
Das Weiß um die braunen Augen hatte sich gelblich gefärbt, und es fiel dem König schwer, die Besucher anzuschauen. Sein Blick verfehlte sie manchmal, als würde er durch sie hindurchführen. Der dünne Leib des Königs wurde von einem reich bestickten dunkelbraunen Stoffgewand verhüllt; Silberbart und Haupthaar reichten von der Liege beinahe bis auf den Boden.
»Mein König, ich bringe dir die Sieger im Wettstreit um die Zyklenprüfung«, sagte Balendilín ehrfürchtig und sank auf die Knie. Die Zwillinge taten es ihm gleich.
Gundrabur richtete sich auf, und sie hörten die Knochen knacken. Ingrimmsch fürchtete, dass sie jeden Augenblick zerbrachen. »Ich kenne euch, Boïndil Zweiklinge und Boëndal Pinnhand«, sprach er mit leiser Stimme. »Tapfere Krieger und vermutlich einmal die besten, die unser Stamm rühmen darf. Es schmückt euch, dass ihr in diesem Zyklus der vermeintlichen Verschwörung auf die Spur gekommen seid.« Er drehte den Kopf zu seinem Berater. »Richte das Fest der Zwerge aus und verkünde, wer gewonnen hat, mein treuer Balendilín. Es soll drei Umläufe währen.«
Der einarmige Zwerg hob den Blick. »Sie haben noch mehr als das erreicht, mein König.« Er bedeutete Boëndal, nach vorne zu treten und die Ereignisse zu wiederholen. Gespannt warteten sie, was Gundrabur zu den Erkenntnissen sagte.
Zu ihrer Überraschung entstand auf dem alten, faltigen Gesicht ein vorsichtiges Lächeln, aus dem ein Grinsen erwuchs, und schließlich lachte der Herrscher schallend und klatschte vor Freude in die Hände. »Wahre Krieger!«, rief er glücklich. »Ihr habt sogar meine kleine Zusatzaufgabe gelöst!«
»Zusatzaufgabe?« Ingrimmsch schluckte. Es war ihm gleichgültig, dass er seinen König unterbrach, aber seine Heldentat wurde durch die Offenbarung in seinen Augen deutlich geschmälert. »Die Schweineschnauzen waren …«
Gundrabur nickte. »Ganz recht, Boïndil Zweiklinge. Ohne, dass es der gute Balirgon oder sonst jemand ahnte, habe ich den Auftrag gegeben, ein paar Orks zu fangen und sie auf das Plateau schaffen zu lassen. Ihr denkt doch wohl nicht ernsthaft, dass es den Bestien gelungen sein könnte, unbemerkt von unseren Spähern an der Hohen Pforte einen Gang zu graben?«
»Dachte ich es mir doch«, murmelte Boëndal erleichtert.
Ingrimmsch verschränkte die Arme vor der Brust, er war ein wenig verstimmt. »Dann haben wir gar keinen Überfall verhindert?«
»Ihr hättet, wenn es einen gegeben hätte«, verbesserte ihn der König mit einem milden Lächeln. »Das wiegt ebenso schwer, mein lieber Boïndil Zweiklinge. Balendilín wird euch eine Belohnung dafür geben, die euch weiteren Ruhm einbringt. Es wird für alle anderen Zwerginnen und Zwerge Ansporn sein, die Augen im nächsten Zyklus noch offener zu halten, als sie es ohnehin bereits tun.« Er gab seinem Berater ein Zeichen, dass er sich zurückziehen sollte. »Ich bin sehr müde. Lasst mich alleine. Wir sehen uns beim Fest.«
Sie neigten ihre Häupter und verließen das Gemach des Herrschers.
Boëndal sah vor der Tür an sich herab. »Jetzt ab nach Hause, Bruder, und waschen. Damit wir beim Fest die strahlenden Helden sind.« Er fühlte die Anspannung von sich abfallen und war außerordentlich erleichtert, dass es sich bei den Drachenorks um nichts als einen Teil der Prüfung gehandelt hatte.
»Ach, verflucht!«, rief Boïndil und trat gegen die Wand.
»Was ist denn los?«
»Nichts. Es hätte mich nur gefreut, ein echtes Unheil abzuwenden.« Er kratzte sich unterm Helm am Kopf. »Wer weiß, ob wir jemals die Gelegenheit erhalten, echte Heldentaten zu vollbringen?«
*
Bald darauf trafen sich die Clanobersten der Zweiten und ausgewählte Gäste in der großen Halle, um die Zwillinge zu feiern. Überall im Blauen Gebirge fanden ihnen zu Ehren solche Feste statt. Das Bier floss in Strömen, die Vorratskammern wurden geplündert und feinste Zwergengerichte zubereitet, an denen sich die Bewohner labten und die Bäuche vollschlugen. Dazu spielten Musikanten auf,
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