Das Fest der Zwerge
erklärte sich Balbok einverstanden und schwieg erneut.
Dann, nach einer Weile: »Rammar?«
»Ja doch!«
»Frohes Fest.«
»Schnauze, Balbok!«
Ray Bradbury
Der Wunsch
Draußen, vorm kalten Fenster, tuschelte der Schnee. Ein Wind aus dem Nirgendwo ließ das mächtige Haus ächzen.
»Was?«, fragte ich.
»Ich habe nichts gesagt.« Charlie Simmons stand hinter mir am Kamin und schüttete leise Popcorn in ein riesiges Metallsieb. » Kein Wort.«
»Verdammt noch mal, Charlie, ich hab dich doch gehört …«
Verwirrt sah ich zu, wie der Schnee auf ferne Straßen und kahle Äcker fiel. Es war so recht eine Nacht für Gespenster in weißen Gewändern, die am Fenster erscheinen und wieder verschwinden.
»Du bildest dir was ein«, sagte Charlie.
Tue ich das?, dachte ich. Hat denn das Wetter Stimmen? Gibt es eine Sprache der Nacht und der Zeit und des Schnees? Was passiert zwischen der Finsternis dort draußen und meiner Seele hier drinnen?
Denn dort im Dunkel schien just in diesem Moment, ungeleitet vom Schein des Mondes oder einer Laterne, ein riesiger unsichtbarer Taubenschwarm zu landen.
Und war es wirklich der Schnee, der da draußen tuschelte, oder war es die Vergangenheit, eine Wehe von altvertrauten Nöten und Sorgen, die sich zu Ängsten aufgetürmt hatten und nun endlich einen Ausdruck fanden?
»Gott, Charles. Gerade eben, ich könnte schwören, dass du gesagt hast …«
»Was soll ich gesagt haben?«
»Du hast gesagt: Wünsch dir etwas. «
»Das soll ich gesagt haben?«
Ich hörte sein Gelächter hinter mir, doch ich drehte mich nicht um. Ich schaute weiter in den fallenden Schnee und sagte ihm, was ich sagen musste: »Du hast gesagt: Heute ist eine besondere Nacht, eine gute, eine denkwürdige Nacht. Und darum musst du dir das Beste, Teuerste, Denkwürdigste wünschen, was du dir je im Leben gewünscht hast, aus tiefstem Herzen, und es wird dir gewahrt werden. Das hab ich dich sagen hören.«
»Nein.« Im Fensterglas sah ich, wie sein Spiegelbild den Kopf schüttelte. »Aber Tom, du stehst seit einer halben Stunde da und bist wie gebannt von dem Schnee. Das war das Feuer im Herd, das da gesprochen hat. Wünsche werden nicht wahr, Tom. Aber …«, und hier hielt er inne und fügte dann einigermaßen verwundert hinzu: »Großer Gott, du hast tatsächlich etwas gehört, nicht wahr? Da. Trink.«
Das Popcorn war fertig. Er goss Wein ein, den ich nicht anrührte. Unaufhörlich fiel vorm dunklen Fenster in fahlen Schwaden der Schnee.
»Warum?«, fragte ich. »Warum sollte mir dieser Wunsch in den Sinn gekommen sein? Wenn du es nicht warst, was war es dann?«
Ja, in der Tat, was, dachte ich; was war dort draußen, und wer sind wir? Zwei Schriftsteller, spät, allein, mein Freund, mein Gast für diese Nacht, zwei alte Gefährten, die es gewohnt sind, viel über Gespenster zu reden und zu schwatzen, die mit den Jahren den ganzen gängigen spiritistischen Krimskrams durchprobiert haben: Alphabettafeln, Tarotkarten, Telepathie, den ganzen Plunder einer vertrauten Freundschaft, wenngleich allemal begleitet von Spötteleien, Witzen und lässigen Späßen.
Aber bei dem, was heute Nacht dort draußen los ist, dachte ich, da hört der Spaß auf, da vergeht einem das Lachen …
»Warum?«, sagte Charlie, der jetzt neben mir stand und Wein trank und bald die rot-grün-blauen Lichter am Weihnachtsbaum, bald meinen Nacken betrachtete. »Warum ein Wunsch in einer Nacht wie dieser? Nun, es ist die Nacht vor Weihnachten, nicht wahr? Noch fünf Minuten, dann ist Christus geboren. Christi Geburt und die Wintersonnenwende, beides in einer Woche. Diese Woche, diese Nacht, sie sind der Beweis dafür, dass die Erde nicht untergehen wird. Der Winter ist am Grunde angelangt, und nun geht es wieder aufwärts, dem Licht entgegen. Das ist doch etwas Besonderes. Das ist unglaublich.«
»Ja«, murmelte ich und dachte an die alten Zeiten, als den Höhlenmenschen das Herz stehen blieb, wenn der Herbst kam und die Sonne fortging, und als die Affenmenschen so lange schrien, bis die Welt sich herumdrehte in ihrem weißen Schlaf und die Sonne eines schönen Morgens früher aufstand und das Universum wieder einmal gerettet war, für eine kleine Weile. »Ja.«
»Na also …« Charlie hatte meine Gedanken erraten; er nippte an seinem Weinglas. »Christus ist seit jeher die Verheißung des Frühlings, oder nicht? Ausgerechnet
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