Das Fest des Ziegenbocks
verletzt durch dich, Cerebrito.« Die Wunde schien ihm zu schaffen zu machen, denn ab und zu verzerrte er in seltsamer Weise die Lippen, und Agustín Cabral hörte seine Zähne knirschen. »Nicht wegen einer bestimmten Sache, es sind viele, die sich in den letzten Monaten angesammelt haben. Der Chef besitzt eine außergewöhnliche Wahrnehmungsfähigkeit. Nichts entgeht ihm, er entdeckt die kleinsten Veränderungen bei den Menschen. Er sagt, daß du seit Beginn dieser Krise, seit dem Hirtenbrief, seit den Scherereien mit der OAS, die der Affe Betancourt und die Ratte Muños Marin ausgelöst haben, immer kälter geworden bist. Daß du nicht den Einsatz gezeigt hast, den er erwartet hat.« Der Senator nickte: wenn der Chef das bemerkt hatte, dann stimmte es vielleicht. Da war natürlich kein Vorsatz im Spiel, schon gar nicht nachlassende Bewunderung und Loyalität. Etwas Unbewußtes, die Erschöpfung, die ungeheure Anspannung des letzten Jahres wegen der kontinentalen Verschwörung, die die Kommunisten und Fidel Castro, die Geistlichen, Washington und das State Department, Figueres, Muños Marin und Betancourt gegen Trujillo angezettelt hatten, wegen der Wirtschaftssanktionen, wegen der Gemeinheiten der Exilanten. Ja, ja, es war möglich, daß er in seiner Leistung bei der Arbeit, in der Partei, im Kongreß ungewollt nachgelassen hatte.
»Der Chef akzeptiert keine Ermüdungserscheinungen oder Schwächen, Agustín. Er will, daß wir alle wie er sind. Uner müdlich, wie Felsen, aus Eisen. Das weißt du ja.« »Und er hat recht.« Agustín klopfte auf seinen kleinen Schreibtisch. »Weil er so ist, hat er dieses Land geschaffen. Er ist immer im Sattel geblieben, Manuel, wie er bei der Kampagne von 1940 gesagt hat. Er hat das Recht, zu fordern, daß wir es ihm gleichtun. Ich habe ihn enttäuscht, ohne mir dessen bewußt zu sein. Weil ich nicht erreicht habe, daß die Bischöfe ihn zum Wohltäter der Kirche ausriefen, vielleicht? Er wollte diese Wiedergutmachung nach dem unbilligen Hirtenbrief. Ich war mit Balaguer und Paíno Pichardo in der Kommission. Wegen dieses Mißerfolgs, glaubst du?« Der Botschafter schüttelte den Kopf.
»Er ist sehr empfindlich. Auch wenn er deshalb gekränkt wäre, hätte er es mir nicht gesagt. Vielleicht ist das einer der Gründe. Man muß ihn verstehen. Seit einunddreißig Jahren verraten ihn die Menschen, denen er am meisten geholfen hat. Wie könnte ein Mann, dem seine besten Freunde in den Rücken fallen, nicht argwöhnisch sein?« »Ich erinnere mich an sein Parfüm«, sagt Urania nach einer Pause. »Seitdem, und das ist keine Lüge, sehe ich jedesmal, wenn ein stark parfümierter Mann in meine Nähe kommt, Manuel Alfonso vor mir. Und ich höre wieder dieses Kauderwelsch, das er die beiden Male redete, da ich die Ehre hatte, seine angenehme Gesellschaft zu genießen.« Ihre rechte Hand zerknüllt die Tischdecke. Ihre Tante, ihre Cousinen und ihre Nichte, verwirrt durch ihre feindseligen, sarkastischen Worte, schauen unschlüssig, betreten. »Wenn es dir zu schaffen macht, von dieser Geschichte zu reden, dann tu es nicht«, gibt Manolita zu bedenken. »Es quält mich, mir wird übel«, erwidert Urania. »Es erfüllt mich mit Haß und Ekel. Nie habe ich mit jemandem darüber gesprochen. Vielleicht tut es mir gut, es mir endlich einmal von der Seele zu reden. Und wer wäre besser dafür geeignet als die Familie.«
»Was glaubst du, Manuel? Wird der Chef mir eine zweite Chance geben?«
»Warum trinken wir nicht einen Whisky, Cerebrito«, ruft der
Botschafter statt einer Antwort aus. Er hebt die Hände, um den Vorwurf abzuwehren. »Ich weiß, daß ich nicht sollte, daß man mir den Alkohol verboten hat. Bah! Lohnt sich das Leben, wenn man auf die guten Dinge verzichtet? Und zu denen gehört ein guter Whisky.«
»Entschuldige, ich habe dir bis jetzt nichts angeboten. Natürlich, auch ich werde etwas trinken. Gehen wir runter ins Wohnzimmer. Uranita wird schon schlafen gegangen sein.« Aber sie ist noch nicht zu Bett gegangen. Sie ist gerade mit dem Abendessen fertig und steht auf, als sie beide die Treppe herunterkommen sieht.
»Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du ein kleines Mädchen«, schmeichelt Manuel Alfonso ihr lächelnd. »Jetzt bist du ein sehr schönes Fräulein. Du wirst die Veränderung gar nicht bemerkt haben, Agustín.« »Bis morgen, Papi.« Urania küßt ihren Vater. Sie will dem Besucher die Hand geben, aber dieser reicht ihr die Wange. Sie küßt ihn, fast
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