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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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sagte der Leutnant. »Lieber sollen sie mich umbringen, als daß ich noch einmal drei Tage in dieser Einsamkeit verbringe.« »Und wohin willst du gehen?«
    Er dachte an seinen Cousin Máximo Mieses, der ein kleines Stück Land an der Duarte-Landstraße besaß. Aber Tono nahm ihm die Hoffnung: Die Landstraßen waren voller Patrouillen, und sie durchsuchten die Fahrzeuge. Er würde das Grundstück seines Cousins nicht erreichen, ohne erkannt zu werden.
    »Du begreifst die Lage nicht«, sagte Tono Sánchez wütend. »Es gibt Hunderte von Verhafteten. Sie suchen euch wie verrückt.«
    »Zum Teufel mit ihnen«, sagte Amadito. »Sollen sie mich doch umbringen. Der Ziegenbock tut keinen Mucks mehr, sie werden ihn nicht mehr zum Leben erwecken. Du mach dir keine Sorgen, Bruderherz. Du hast viel für mich getan. Kannst du mich bis zur Straße mitnehmen? Ich werde zu Fuß in die Stadt zurückgehen.«
    »Ich hab zwar Angst, aber nicht so sehr, daß ich dich hier zurücklasse, so ein Schwein bin ich nicht«, sagte Tono, der ruhiger geworden war. Er klopfte ihm auf die Schulter. »Komm, ich nehm dich mit. Wenn sie uns erwischen, dann hast du mich mit vorgehaltenem Revolver gezwungen, okay?«
    Er verstaute Amadito im hinteren Teil des Jeeps, unter einer Plane, auf die er ein zusammengerolltes Seil und ein paar Benzinkanister legte, die auf dem Leutnant, der mit angezogenen Beinen dalag, hin und her rutschten. Die Haltung verursachte ihm Krämpfe und verstärkte den Schmerz in seinem Fuß; bei jedem Schlagloch stieß er sich die Schultern, den Rücken, den Kopf an. Aber nicht einen Augenblick vergaß er seine 4 5 er Pistole; er hielt sie in der rechten Hand, entsichert. Was auch geschehen würde, lebend würden sie ihn nicht kriegen. Er fühlte keine Furcht. Im Grunde hegte er keine große Hoffnung, die Sache zu überstehen. Aber was machte das schon. Seit jener unheilvollen Nacht mit Johnny Abbes hatte er keine solche Ruhe mehr empfunden.
    »Wir kommen jetzt zur Radhamés-Brücke«, hörte er Toño Sánchez erschrocken sagen. »Rühr dich nicht, mucks dich nicht, eine Patrouille.«
    Der Jeep hielt an. Er hörte Stimmen, Schritte und, nach einer Pause, freundliche Rufe: »Ach, du bist es, Tonito.« »Was gibt’s, Sportsfreund.« Man erlaubte ihnen, weiterzufahren, ohne das Fahrzeug zu durchsuchen. Sie mußten sich mitten auf der Brücke befinden, als er Tono Sánchez abermals hörte:
    »Der Hauptmann war mein Freund, der dürre Rasputin, was für ein verdammtes Glück! Mir geht noch der Arsch auf Grundeis, Amadito. Wo soll ich dich absetzen?« »In der Avenida San Martin.« Kurze Zeit später bremste der Jeep.
    »Nirgendwo caliés zu sehen, lauf zu«, sagte Tofio zu ihm. »Gott schütze dich, mein Junge.«
    Der Leutnant befreite sich von der Plane und den Kanistern und sprang auf den Bürgersteig. Einige Autos fuhren vorbei, aber er sah keine Fußgänger, außer einem Mann mit Stock, der sich mit dem Rücken zu ihm entfernte. »Gott möge es dir lohnen, Tono.«
    »Er schütze dich«, wiederholte Tono Sánchez, während er startete.
    Das kleine Haus seiner Tante Meca – ganz aus Holz, eingeschossig, mit Gitter und ohne Garten, aber mit Geranientöpfen vor den Fenstern – war etwa zwanzig Meter entfernt, die Amadito mit langen Schritten und hinkend zurücklegte, ohne den Revolver zu verbergen. Kaum hatte er geklopft, öffnete sich die Tür. Seine Tante hatte keine Zeit, sich zu wundern, denn der Leutnant sprang mit einem Satz hinein, schob sie zur Seite und schloß die Tür hinter sich.
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll, wo ich mich verstecken soll, Tante Meca. Nur für einen oder zwei Tage, bis ich einen sicheren Ort finde.«
    Seine Tante küßte und umarmte ihn liebevoll wie eh und je. Sie schien nicht so erschrocken zu sein, wie Amadito gefürchtet hatte.
    »Sie haben dich bestimmt gesehen, mein Sohn. Was für ein Einfall, am hellichten Tag zu kommen. Meine Nachbarn sind glühende Trujillo-Anhänger. Du bist ja voll Blut. Und dieser Verband? Bist du verwundet?« Amadito spähte durch die Vorhänge auf die Straße. Es gab keine Menschen auf den Bürgersteigen. Türen und Fenster auf der anderen Straßenseite waren geschlossen. »Seitdem die Sache bekannt wurde, habe ich für dich zu San Pedro Claver gebetet, Amadito, er ist ein so wundertätiger Heiliger.« Sie hielt sein Gesicht zwischen ihren Händen. »Als du im Fernsehen zu sehen warst und in El Caribe, kamen mehrere Nachbarinnen zu mir, um mir Fragen zu stellen, um sich

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