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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Lehrerin war. Er durchquerte mit raschen Schritten die Gärten zwischen dem Regierungspalast und der Villa Radhamés und hörte nur mit halbem Ohr den Erklärungen eines Adjutanten der Eskorte zu: wiederholte Anrufe des Ministers der Streitkräfte General Roman Fernández, der ihm zur Verfügung stehe für den Fall, daß Seine Exzellenz ihn vor dem Spaziergang sehen wolle. Aha, er hatte einen Schrecken bekommen durch den Anruf heute morgen. Er würde einen noch größeren bekommen, wenn er ihm unter Flüchen den Tümpel mit schmutzigem Wasser zeigte. Er betrat im Sturmschritt seine Wohnräume in der Villa Radhamés. Dort erwartete ihn, ausgebreitet auf dem Bett, die olivgrüne Tagesuniform. Sinforoso war ein Hellseher. Er hatte ihm nicht gesagt, daß er nach San Cristóbal fahren würde, aber der Alte hatte ihm die Kleidung bereitgelegt, mit der er sich immer zur Hacienda Fundación begab. Warum zog er sich diese Tagesuniform für das Mahagonihaus an? Er wußte es nicht. Diese Leidenschaft für Rituale, für die Wiederholung von Gesten und Handlungen, die er seit seinen Jugendjahren besaß. Die Zeichen waren günstig: Weder die Unterhose noch die Hose hatten Urinflecken. Der Zorn, den Balaguer bei ihm ausgelöst hatte, weil er es gewagt hatte, Einwände gegen die Beförderung von Leutnant Victor Alicinio Pena Rivera zu erheben, war verraucht. Er fühlte sich optimistisch, verjüngt durch dieses angenehme Kribbeln in den Hoden und die Erwartung, die Tochter oder die Schwester dieser Terencia in den Armen zu halten, die ihm in so guter Erinnerung geblieben war. Ob sie wohl Jungfrau war? Dieses Mal würde er nicht die unangenehme Erfahrung machen, die er mit dem dürren Skelett erlebt hatte. Er freute sich darauf, daß er die nächste Stunde in der salzigen Luft verbringen, die Meeresbrise einatmen und sehen würde, wie sich die Wellen an der Avenida brachen. Die Bewegung würde ihm helfen, den schlechten Nachgeschmack zu
    vertreiben, den der Nachmittag bei ihm hinterlassen hatte, etwas, das ihm selten widerfuhr; nie hatte er zu Depressionen oder ähnlichem Unsinn geneigt. Als er das Haus verließ, kam ein Dienstmädchen, um ihm zu sagen, Doña Maria wolle ihm etwas von dem jungen Ramfis ausrichten, der aus Paris angerufen habe. »Später, später, ich habe keine Zeit.« Ein Gespräch mit der alten Nervensäge würde ihm die gute Laune verderben. Er durchquerte abermals mit raschen Schritten die Gärten der Villa Radhamés, es drängte ihn, ans Ufer des Meeres zu gelangen. Aber zuvor ging er wie jeden Tag bei seiner Mutter vorbei, in der Avenida Máximo Gómez. An der Haustür der großen rosafarbenen Residenz Doña Julias erwarteten ihn die etwa zwanzig Personen, die ihn begleiten würden, Privilegierte, die ihn jeden Abend eskortieren durften und deshalb von allen beneidet und gehaßt wurden, die nicht in den Genuß einer solchen Ehre kamen. Unter den Offizieren und Zivilpersonen, die sich in den Gärten der Erhabenen Matrone eingefunden hatten und sich in zwei Reihen teilten, um ihn hindurchzulassen – »Guten Abend, Chef«, »Guten Abend, Exzellenz« – , erkannte er Navajita Espaillat, General JoséRene Roman Fernández – welche Besorgnis in den Augen des armen Tors! –, Oberst Johnny Abbes García, Senator Henry Chirinos, seinen Schwiegersohn Oberst Leon Estévez, seinen Freund und Landsmann Modesto Díaz, Senator Jeremías Quintanilla, der an die Stelle von Agustín Cabral als Senatspräsident getreten war, den Direktor von El Caribe, Don Panchito, und, verloren zwischen ihnen, den schmächtigen Präsidenten Balaguer. Er gab niemandem die Hand. Er ging in den ersten Stock hinauf, wo Doña Julia sich zur Stunde der Abenddämmerung in ihren Schaukelstuhl setzte. Da war die Alte; in sich zusammengesunken, klein, eine Zwergin, betrachtete sie unverwandt das Feuerwerk der am Horizont versinkenden Sonne, die von einer Aureole rödicher Wolken umgeben war. Die Besucherinnen und Dienstmädchen, die seine Mutter umringten, wichen zur Seite. Er beugte sich hinunter, küßte die pergamentartigen Wangen Doña Julias und strich ihr zärtlich übers Haar.
    »Du liebst sie sehr, die Abenddämmerung, nicht wahr, meine Alte?«
    Sie nickte und lächelte ihn mit ihren tiefliegenden, aber beweglichen Augen an, und der kleine Haken ihrer Hand berührte leicht seine Wange. Erkannte sie ihn? Doña Altagracia Julia Molina war sechsundneunzig Jahre alt, und ihr Gedächtnis mußte eine Art Seifenwasser sein, in dem sich die

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