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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Erinnerungen auflösten. Aber der Instinkt sagte ihr bestimmt, daß dieser Mann, der sie jeden Abend pünktlich besuchte, ein geliebtes Wesen war. Sie war immer herzensgut gewesen, diese uneheliche Tochter haitianischer Einwanderer nach San Cristóbal, deren Gesichtszüge er und seine Geschwister geerbt hatten, etwas, das ihn bei aller Liebe zu ihr immer mit Scham erfüllt hatte. Obwohl er manchmal, wenn er auf der Pferderennbahn, im Country Club oder in der Kunstakademie die Huldigungen sämtlicher aristokratischer Familien der Dominikanischen Republik entgegennahm, höhnisch dachte: ›Sie lecken den Boden für einen Sklavenabkömmling.‹ Was konnte die Erhabene Matrone dafür, daß schwarzes Blut in ihren Adern floß? Doña Julia hatte nur für ihren Mann gelebt, diesen gutmütigen Säufer und Frauenhelden Don JoséTrujillo Valdez, und für ihre Kinder, und sich dabei selbst vergessen und stets mit dem letzten Platz begnügt. Er hatte sie immer bewundert, diese kleine Frau, die ihn nie um Geld, um Kleidung, um Reisen oder sonstige Güter gebeten hatte. Nichts, niemals. Alles hatte er ihr aufgezwungen. Mit ihrer angeborenen Genügsamkeit würde Doña Julia heute noch in dem bescheidenen Häuschen in San Cristóbal wohnen, in dem der Generalissimus geboren und aufgewachsen war, oder in einer dieser fensterlosen Hütten seiner hungerleidenden haitianischen Verwandten. Das einzige, worum ihn Doña Julia im Leben gebeten hatte, war Erbarmen für Petán, Negro, Pipí und Aníbal, diese faulen, abgefeimten Brüder, wenn sie eine Missetat begangen hatten, und für Angelita, Ramfis und Radhamés, die von Kindesbeinen an vor dem Zorn des Vaters
    Schutz bei der Großmutter gesucht hatten. Und um Doña Julias willen verzieh Trujillo ihnen. Ob sie wohl wußte, daß Hunderte von Straßen, Parks und Schulen der Republik Julia Molina verwitwete Trujillo hießen? Obwohl sie umschmeichelt und gefeiert wurde, war sie noch immer die unauffällige, unsichtbare Frau, wie Trujillo sie aus seiner Kindheit in Erinnerung hatte.
    Manchmal blieb er eine Weile bei seiner Mutter und
    erzählte ihr die Ereignisse des Tages, auch wenn sie ihn nicht verstehen konnte. Heute beschränkte er sich darauf, ihr ein paar zärdiche Worte zu sagen, und kehrte zur Máximo Gómez zurück, denn er konnte es nicht erwarten, die Meeresluft einzuatmen.
    Kaum war er auf die breite Avenida hinausgetreten – die Schar der Offiziere und Zivilpersonen öffnete sich abermals –, schritt er aus. Acht Straßenzüge weiter unten sah er das Meer der Karibik, in Brand gesetzt durch die Gold- und Feuertöne der Abenddämmerung. Er spürte eine weitere Welle von Zufriedenheit. Er lief auf der rechten Seite, gefolgt von den Höflingen, die sich fächerartig oder in Gruppen über die Fahrbahn und den Bürgersteig verteilten. Zu dieser Stunde wurde der Verkehr auf der Máximo Gómez und der Avenida unterbrochen, aber die Bewachung in den Seitenstraßen hatte Johnny Abbes auf seinen Befehl hin fast unsichtbar gemacht, denn die von Soldaten und caliés wimmelnden Straßenecken hatten beim Generalissimus am Ende klaustrophobische Gefühle geweckt. Niemand überwand die Schranke der Militäradjutanten, die dem Chefin einem Meter Entfernung folgten. Alle warteten darauf, daß dieser zu erkennen gab, wer sich ihm nähern durfte. Nachdem er einen halben Straßenblock gegangen war und den Duft der Gärten eingeatmet hatte, wandte er sich um, suchte den halbkahlen Schädel von Modesto Díaz und machte ihm ein Zeichen. Es kam zu einer kleinen Verwirrung, denn der feiste Senator Chirinos, der neben Modesto Díaz ging, glaubte, der Erwählte zu sein, und stürzte auf den Generalissimus zu. Er wurde zurückgehalten und wieder dem Haufen zugeführt. Modesto Díaz mit seiner Leibesfülle kosteten diese Spaziergänge
    im Tempo Trujillos große Anstrengung. Er schwitzte in Strömen. Er hielt das Taschentuch in der Hand und trocknete sich ab und zu die Stirn, den Hals und die aufgeschwemmten Wangen. »Guten Abend, Chef.«
    »Du solltest Diät machen«, riet ihm Trujillo. »Kaum fünfzig
    Jahre alt und völlig außer Atem. Nimm dir ein Beispiel an mir, siebzig Lenze und in bester Form.« »Das sagt mir meine Frau jeden Tag, Chef. Sie macht mir Hühnersüppchen und Salate. Aber mein Wille ist nicht stark genug. Ich kann auf alles verzichten, nur nicht auf gutes Essen.«
    Sein rundlicher Körper schaffte es kaum, auf gleicher Höhe zu bleiben. Modesto hatte das gleiche breite Gesicht mit

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