Das Fest des Ziegenbocks
Anwesenheit die geringste Störung darstellte. Wüßte das Paar, daß es sein Leben aufs Spiel setzte? Natürlich. Sie hatten den detaillierten Berichten im Fernsehen entnommen, welche panische Angst diese verfemten Mörder bei den Dominikanern auslösten und daß viele von ihnen, nicht zufrieden damit, ihnen eine Zuflucht zu verweigern, sich beeilt hatten, sie zu denunzieren. Sie sahen als ersten den Ingenieur Huáscar Tejeda ins Netz gehen, den der verschreckte Pfarrer in seiner Niedertracht aus der Kirche des Heiligen Priesters von Ars vertrieb, direkt in die Arme des SIM. Sie verfolgten die Odyssee von General Juan Tomás Díaz und Antonio de la Maza, die in einem öffentlichen Taxi durch die Straßen von Ciudad Trujillo geirrt und von den Personen, an die sie sich hilfesuchend wandten, verraten worden waren. Und sie sahen, wie die calìés, nachdem sie Amadito García Guerrero getötet hatten, die arme alte Frau mitnahmen, die ihm Zuflucht gewährt hatte, und wie der Pöbel ihr Haus verwüstete und dem Erdboden gleichmachte. Doch diese Szenen und Berichte machten den Cavaglieris nicht bange und ließen auch nicht die Freundlichkeit erkalten, mit der sie ihn behandelten.
Seit Ramfis’ Rückkehr wußten Imbert und die Gastgeber, daß sein Eingesperrtsein lange dauern würde. Die öffentlichen Umarmungen zwischen Trujillos Sohn und General JoséRene Roman sprachen Bände: er war ein Verräter, es würde keine militärische Erhebung geben. Von seiner kleinen Welt im Pent-house der Cavaglieris aus sah er, wie die Menge Stunden um Stunden Schlange stand, um Trujillo die letzte Ehre zu erweisen, und er sah sich auf dem Fernsehschirm, abgebildet neben Luis Amiama (den er nicht kannte), in öffentlichen Aufrufen, bei denen zunächst hunderttausend, dann zweihunderttausend und schließlich eine halbe Million Pesos für Hinweise auf ihren Aufenthaltsort geboten wurden.
»Na, beim Werteverfall des dominikanischen Pesos ist das kein interessantes Geschäft mehr«, kommentierte Cavaglieri.
Sehr bald fügte sich sein Leben einer strikten Routine. Er hatte ein kleines Zimmer für sich allein, mit einem Bett und einem Nachttisch, der von einer kleinen Lampe erhellt wurde. Er stand früh auf und machte fast eine Stunde lang Liegestütze, Spurt auf der Stelle, Bauchmuskeltraining. Er frühstückte mit den Gastgebern. Nach langen Diskussionen erreichte er, daß sie ihm erlaubten, beim Saubermachen zu helfen. Fegen, Staubsaugen, Gegenstände und Möbel mit dem Staubwedel Abstauben wurde zum Zeitvertreib und zur Pflicht, etwas, das er bewußt tat, mit großer Konzentration und einer gewissen Freude. In die Küche ließ ihn Senora Cavaglieri allerdings nicht. Sie kochte sehr gut, vor allem Nudelgerichte, die sie zweimal am Tag auf den Tisch brachte. Ihm hatten Nudeln schon als Kind geschmeckt. Aber nach sechs Monaten Eingesperrtsein würde er nie wieder Taglierini, Tagliatelle, Ravioli oder sonst eine Variante dieses Hauptgerichts der italienischen Küche essen.
Wenn er seine häuslichen Pflichten erledigt hatte, las er stundenlang. Er war nie ein großer Leser gewesen; in diesen sechs Monaten entdeckte er die Lust am Lesen. Bücher und Zeitschriften waren der beste Schutz vor dem Trübsinn, in den er durch das Eingesperrtsein, die Routine und die Ungewißheit bisweilen verfiel. Erst als im Fernsehen bekanntgegeben wurde, daß eine Kommission der OAS angereist war, um mit den politischen Gefangenen zu sprechen, erfuhr er, daß Guarina schon seit mehreren Wochen im Gefängnis saß, ebenso wie die Frauen aller am Komplott beteiligten Freunde. Die Gastgeber hatten bislang vor ihm verborgen, daß Guarina sich in Haft befand. Dagegen teilten sie ihm ein paar Wochen später freudig die gute Nachricht mit, daß sie freigelassen worden war.
Nie, nicht einmal beim Wischen, Fegen oder Staubsaugen, trennte er sich von seinem geladenen 45er Colt. Seine Entscheidung war unwiderruflich. Er würde das gleiche tun wie Amadito, Juan Tomás Diaz und Antonio de la Maza. Er würde sich nicht lebend ergeben, sondern mit der Waffe in der Hand sterben. Es war eine würdigere Art zu sterben, als den Quälereien und Folterungen ausgesetzt zu sein, die Ramfis und seine Kumpane mit ihren perversen Gehirnen ersannen.
Nachmittags und abends las er die Zeitungen, die die Gastgeber ihm mitbrachten, und sah sich mit ihnen zusammen die Nachrichten im Fernsehen an. Ohne großen Glauben verfolgte er den konfusen zweigleisigen Kurs, auf den sich das Regime
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