Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
Als sie sich prüfend anschauten, stellten sie fest, daß Guarina und Leslie dünn geworden waren, während er fünf Kilo zugenommen hatte. Er erklarte ihnen, daß dort, wo er versteckt gewesen war – er könne nicht sagen, wo –, viele Spaghetti gegessen wurden.
    Sie konnten nicht lange miteinander sprechen. Das demolierte Haus der Familie Imbert begann sich mit Blumensträußen, Verwandten, Freunden und Unbekannten zu füllen, die kamen, um ihn zu umarmen, ihn zu beglückwünschen – bisweilen zitternd vor Ergriffenheit, die Augen voller Tränen – , ihn einen Helden zu nennen und ihm für das zu danken, was er getan hatte. Unter den Besuchern tauchte plötzlich ein Militär auf. Es war ein Adjutant des Präsidenten. Nach dem vorschriftsmäßigen militärischen Gruß teilte Major Teofronio Cá-ceda ihm mit, daß der Staatschef ihn und Senor Don Luis Amiama – der ebenfalls gerade aus seinem Versteck bei keinem Geringeren als dem gegenwärtigen Gesundheitsminister aufgetaucht war – morgen mittag im Regierungspalast zu empfangen wünsche. Und er informierte ihn mit einem kleinen kompli-zenhaften Lachen, daß Senator Henry Chirinos soeben im Kongreß (»in Trujillos Kongreß, jawohl«) ein Gesetz vorgelegt habe, mit dem Antonio Imbert und Luis Amiama wegen außergewöhnlicher Dienste an der Nation zu Drei-Sterne-Generälen der dominikanischen Armee ernannt wurden. Am Vormittag des nächsten Tages begab er sich in Begleitung
    von Guarina und Leslie – alle drei in ihrer besten Kleidung, wenn sie Antonio auch zu eng war – zum Regierungspalast. Ein Schwärm von Photographen empfing sie, und eine militärische Wache in Paradeuniform salutierte vor ihnen. Dort, im Vorzimmer, lernte er Luis Amiama kennen, einen sehr dünnen, ernsten Mann mit lippenlosem Mund, mit dem ihn fortan eine unverbrüchliche Freundschaft verbinden sollte. Sie gaben sich die Hand und vereinbarten, nach demTreffen mit dem Präsidenten die Ehefrauen (die Witwen) aller toten oder verschwundenen Mitverschwörer aufzusuchen und sich gegenseitig ihre Abenteuer zu erzählen. In diesem Augenblick öffneten sich die Türen zum Amtsraum des Staatspräsidenten.
    Lächelnd und mit einem Ausdruck tiefer Freude schritt Dr. Balaguer unter den Blitzlichtern der Photographen mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.

XXIV

    »Manuel Alfonso holte mich pünktlich auf die Minute ab«, sagt Urania, den Blick ins Leere gerichtet. »Der Kuckuck im Wohnzimmer rief gerade achtmal, als er klingelte.« Ihre Tante Adelina, ihre Cousinen Lucinda und Manolita und ihre Nichte Marianita schauen sich nicht an, um die Anspannung nicht zu steigern; sie haben nur Augen für sie, erwartungsvoll und erschrocken. Samson hat den krummen Schnabel in die grünen Federn gesteckt und schläft. »Papa lief in sein Zimmer, unter dem Vorwand, ins Bad zu müssen«, fährt Urania kalt, fast wie eine Notarin fort. »›Bye-bye, Töchterchen, viel Spaß.‹ Er wagte nicht, sich von mir zu verabschieden und mir dabei in die Augen zu sehen.«
    »Du erinnerst dich an diese Einzelheiten?« Tante Adelina hebt ihre kleine runzlige Faust, die jetzt nicht mehr energisch und gebieterisch ist.
    »Ich vergesse vieles«, antwortet Urania lebhaft. »Aber was diese Nacht betrifft, erinnere ich mich an alles. Du wirst schon sehen.«
    Sie erinnert sich zum Beispiel, daß Manuel Alfonso sportlich gekleidet war- sportlich, für ein Fest beim Generalissimus? –, mit einem offenen blauen Hemd und einem leichten cremefarbenen Jackett, Ledermokassins und einem seidenen Tuch, das seine Narbe verbarg. Mit seiner mühsam artikulierenden Stimme sagte er ihr, wie wunderschön ihr Kleid aus rosafarbenem Organdy sei und daß diese hochhackigen Schuhe sie erwachsener machten. Er küßte sie auf die Wange: »Beeilen wir uns, es wird spät, meine Schöne.« Er hielt ihr die Autotür auf, ließ sie einsteigen, setzte sich neben sie, und der Chauffeur mit Uniform und Mütze – sie erinnerte sich an den Namen: Luis Rodríguez – fuhr los.
    »Statt die Avenida George Washington hinunterzufahren, nahm das Auto absurde Umwege. Es fuhr die Independencia hinauf bis zum Kolonialviertel und durchquerte es, um die Zeit herumzubringen. Es stimmte nicht, daß es spät war; es war noch zu früh, um nach San Cristóbal zu fahren.«
    Manolita streckt die Hände, den rundlichen Körper vor. »Aber… es kam dir seltsam vor, und du hast Manuel Alfonso nichts gefragt? Überhaupt nichts?« Am Anfang nicht: überhaupt nichts. Es war natürlich

Weitere Kostenlose Bücher