Das Fest des Ziegenbocks
eingelassen hatte: eine zivile Regierung unter der Führung von Balaguer, der Gesten machte und Erklärungen abgab, mit denen er versicherte, daß das Land sich demokratisiere, und eine militärische und polizeiliche Macht, deren Fäden Ramfis in der Hand hielt und die mit der gleichen Straflösigkeit mordete, folterte und Leute verschwinden ließ wie zu Lebzeiten des Chefs. Und doch konnte er nicht umhin, sich ermutigt zu fühlen durch die Rückkehr der Exilanten, das Erscheinen kleiner Publikationen der Opposition – Organe der Union Cívica und der Bewegung 14. Juni – und die studentischen Kundgebungen gegen die Regierung, über die die offiziellen Medien zuweilen informierten, sei es auch nur, um die Demonstranten als Kommunisten hinzustellen. Die Rede Balaguers vor den Vereinten Nationen, in der er Kritik an der Diktatur Trujillos übte und sich verpflichtete, das Land zu demokratisieren, machte ihn sprachlos. War das derselbe kleine Mann, der einunddreißig Jahre lang der treueste und beständigste Diener des Vaters des Neuen Vaterlandes gewesen war? Bei den langen Gesprächen nach Tisch, die sie gewöhnlich führten, wenn die Cavaglieris zu Hause zu Abend aßen – oft gingen sie zum Abendessen aus, aber dann ließ Señora Cavaglieri ihm die unvermeidlichen Nudeln im Backofen – , ergänzten sie die amtliche Nachrichtenlage um die Gerüchte, von denen es nur so wimmelte in dieser Stadt, die bald ihren alten Namen, Santo Domingo de Guzmán, zurückerhielt. Obwohl alle einen Staatsstreich von sehen der Brüder Trujillos befürchteten, der die grausame, harte Diktatur wiedererrichten würde, war es offensichtlich, daß die Menschen allmählich die Angst verloren oder, besser gesagt, daß sich der Zauber löste, der so viele Dominikaner dazu gebracht hatte,
sich mit Leib und Seele Trujillo auszuliefern. Die Zahl der trujillofeindlichen Stimmen, Erklärungen und Haltungen mehrte sich, ebenso wie die Unterstützung für die Union Cívica, die Bewegung 14. Juni oder die PRD, deren Führer ins Land zurückgekehrt waren und im Zentrum der Stadt ein Parteilokal eröffnet hatten.
Der traurigste Tag seiner Odyssee war zugleich auch der glücklichste. Am 18. November wurde im Fernsehen Ramfìs’ Abreise angekündigt und gleichzeitig bekanntgegeben, daß die sechs Mörder des Chefs (vier Täter und zwei Komplizen) geflohen waren, nachdem sie die drei Soldaten umgebracht hatten, die sie nach einer Rekonstruktion des Verbrechens in das Gefängnis La Victoria zurückbringen sollten. Er konnte sich nicht beherrschen und brach vor dem Fernsehschirm in Tränen aus. Seine Gefährten – der Türke, sein bester Freund – waren also ermordet worden, zusammen mit drei armen Wachsoldaten, als Alibi für die Farce. Die Leichen würde man natürlich niemals finden. Signor Cavaglieri reichte ihm ein Glas Cognac.
»Trösten Sie sich, Senor Imbert. Denken Sie daran, daß Sie bald Ihre Frau und Ihre Tochter sehen werden. Die Sache dauert nicht mehr lange.«
Kurz darauf wurde die unmittelbar bevorstehende Abreise
der Brüder Trujillos mitsamt ihren Familien angekündigt. Das war jetzt wirklich das Ende des Eingesperrtseins. Vorläufig zumindest hatte er die Jagd überlebt, bei der mit Ausnahme von Luis Amiama – bald erfuhr er, daß dieser sechs Monate lang viele Stunden pro Tag in einem Wandschrank verbracht hatte – praktisch alle hauptsächlichen Verschwörer sowie Hunderte Unschuldiger, darunter sein Bruder Segundo, gefoltert und ermordet worden waren oder noch immer im Gefängnis saßen.
Am Tag nach der Abreise der Brüder Trujillos wurde eine politische Amnestie verkündet. Die Gefängnistore begannen sich zu öffnen. Balaguer kündigte eine Kommission an, die die Wahrheit über das Schicksal der »Richter des Tyrannen« herausfinden sollte. Rundfunksender, Zeitungen und Fernsehen hörten an diesemTag auf, sie Mörder zu nennen; bald wurde ihr neuer Name durch die Bezeichnung Helden ersetzt, und nicht lange danach begann man damit, Straßen, Plätze und Alleen im ganzen Land nach ihnen zu benennen.
Am dritten Tag verließ er in der Abenddämmerung unauffällig sein Versteck – die Gastgeber erlaubten ihm nicht einmal, ihnen für das zu danken, was sie für ihn getan hatten, und baten ihn nur darum, niemandem ihre Identität zu verraten, um nicht ihren diplomatischen Status zu gefährden – und machte sich allein auf den Weg nach Hause. Lange Zeit lagen er, Guarina und Leslie sich in den Armen, ohne sprechen zu können.
Weitere Kostenlose Bücher