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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Hosenschlitz. Die Feststellung verbesserte seine Laune nicht. Abermals ging ihm die Erinnerung an das kleine Mädchen im Mahagonihaus durch den Kopf. Eine unangenehme Episode. Wäre es besser gewesen, ihr an Ort und Stelle einen Schuß zu verpassen, während sie ihn mit diesen Augen ansah? Unsinn. Er hatte nie sinnlos Schüsse abgefeuert, schon gar nicht wegen Bettgeschichten. Nur wenn es keine Alternative gab, wenn es absolut unerläßlich war, um dieses Land voranzubringen oder einen Affront zu rächen. »Erlauben Sie mir, Exzellenz.« »Ja?«
    »Präsident Balaguer hat gestern abend im Rundfunk angekündigt, die Regierung werde eine Gruppe von politischen Gefangenen freilassen.«
    »Balaguer hat getan, was ich ihm befohlen habe. Also was?«
    »Ich brauchte die Liste der zur Freilassung Bestimmten. Um ihnen die Haare schneiden, sie rasieren und anständig kleiden zu lassen. Ich nehme an, sie werden der Presse vorgeführt.«
    »Ich werde Ihnen die Liste schicken, sobald ich sie durchgesehen habe. Balaguer denkt, daß diese Gesten in diplomatischer Hinsicht angebracht sind. W r ir werden schon sehen. Jedenfalls hat er die Maßnahme gut dargestellt.« Auf seinem Schreibtisch lag die Rede Balaguers. Er las mit lauter Stimme den unterstrichenen Satz: »Das Werk Seiner Exzellenz, des Generalissimus Dr. Rafael L. Trujillo Molina, hat sich in einem Maße als beständig erwiesen, daß es uns nach dreißig Jahren Frieden und ununterbrochener Führerschaft erlaubt, Amerika ein Beispiel dafür zu geben, daß Lateinamerika imstande ist, in vollem Bewußtsein die wahre repräsentative Demokratie zu praktizieren.« »Gut formuliert, nicht wahr?« sagte er. »Das ist der Vorteil, wenn man einen Dichter und Literaten als Präsidenten der Republik hat. Als mein Bruder das Amt innehatte, waren die Reden, die der Negro verlas, stinklangweilig. Na ja, ich
    weiß, daß Balaguer Ihnen nicht gefällt.«
»Ich vermische meine persönlichen Sympathien oder Anti
pathien nicht mit meiner Arbeit, Exzellenz.«
»Ich habe nie verstanden, warum Sie ihm mißtrauen. Bala
guer ist der harmloseste meiner Mitarbeiter. Deshalb habe
ich ihn dort plaziert, wo er ist.«
    »Ich glaube, daß seine betont zurückhaltende Art eine Strategie ist. Daß er im Grunde kein Mann des Regimes ist, daß er nur für Balaguer arbeitet. Es kann sein, daß ich mich irre. Im übrigen habe ich in seinem Verhalten nichts Verdächtiges entdeckt. Aber ich würde meine Hand nicht für seine Loyalität ins Feuer legen.«
    Trujillo sah auf die Uhr. Zwei Minuten vor sechs. Seine Besprechung mit Abbes García dauerte nie länger als eine Stunde, außer bei ungewöhnlichen Anlässen. Er stand auf, und der Chef des SIM tat es ihm nach. »Wenn ich meine Meinung über die Bischöfe ändere, werde ich es Ihnen mitteilen«, sagte er zum Abschied. »Bereiten Sie in jedem Fall die Operation vor.« »Sie kann in Gang gesetzt werden, sobald Sie die Entscheidung treffen. Mit Ihrer Erlaubnis, Exzellenz.« Kaum hatte Abbes García das Amtszimmer verlassen, trat der Wohltäter ans Fenster, um in den Himmel zu spähen. Noch nicht einmal der kleinste Streifen Licht.

    VI

    »Ach, ich weiß schon, wer das ist«, sagte Antonio de la Maza.
    Er öffnete die Autotür und trat auf die Landstraße hinaus, noch immer das Gewehr mit dem abgesägten Lauf in der Hand. Keiner seiner Gefährten – Tony, Salvador und Amadito – folgte ihm; aus dem Innern des Fahrzeugs beobachteten sie seine kräftige Gestalt, deren Umriß sich von den Schatten abhob, die der schwache Schein des Mondes kaum erhellte, während er auf den kleinen Volkswagen zuging, der mit abgeschalteten Scheinwerfern neben ihnen geparkt hatte.
    »Erzähl mir bloß nicht, daß der Chef es sich anders überlegt hat«, rief Antonio zur Begrüßung aus, während er den Kopf zum Fenster hineinsteckte und sein Gesicht dem Fahrer und einzigem Insassen näherte, ein schnaufender Mann in Anzug und Krawatte, der so dick war, daß man sich schwer vorstellen konnte, wie er überhaupt in das Fahrzeug hineingekommen war, in dem er wie in einem Käfig saß.
    »Im Gegenteil, Antonio«, beruhigte ihn Miguel Angel Báez Díaz, die Hände um das Lenkrad geklammert. »Er fährt in jedem Fall nach San Cristóbal. Er hat sich verspätet, weil er nach dem Spaziergang auf der Uferpromenade mit Pupo Roman zum Stützpunkt San Isidro gefahren ist. Ich bin gekommen, um dich zu beruhigen, ich konnte mir deine Ungeduld vorstellen. Er wird jeden Augenblick auftauchen. Haltet

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