Das Fest des Ziegenbocks
einmal vor Trujillo der Senator Agustín Cabral, sein Freund und Intimfeind innerhalb des Zirkels der Günstlinge). Dank all dieser Fertigkeiten war der ewige Parlamentarier Henry Chirinos alles, was man in den dreißig Jahren der Ära sein konnte: Abgeordneter, Senator, Justizminister, Mitglied des Verfassungsgerichts, bevollmächtigter Botschafter und Geschäftsträger, Gouverneur der Zentralbank, Präsident des Instituto Trujilloniano, Mitglied des Vorstands der Dominikanischen Partei und, seit zwei Jahren, Kontrolleur der Unternehmen des Wohltäters, sein größter Vertrauensposten. Als solcher unterstanden ihm Landwirtschaft, Handel und Finanzen. Warum einem Gewohnheitstrinker eine derartige Verantwortung übertragen? Weil er nicht nur Rechtsverdreher war, sondern auch etwas von Wirtschaft verstand. Er hatte es gut gemacht an der Spitze der Zentralbank und im Finanzministerium, einige Monate lang. Und weil er wegen der zahlreichen Ränke in den letzten Jahren auf diesem Posten jemanden brauchte, der sein absolutes Vertrauen genoß und den er über die familiären Wirren und Querelen informieren konnte. Darin war diese alkoholisierte Fettkugel unersetzbar.
Wieso hatte er als haltloser Trinker nicht das Geschick für die juristische Intrige, nicht die Arbeitsfähigkeit verloren, die der Wohltäter neben der des in Ungnade gefallenen Anselmo Pau-lino vielleicht als einzige mit seiner eigenen vergleichen konnte? Der Lebende Dreck konnte zehn oder zwölf Stunden ohne Pause arbeiten, sich dann vollaufen lassen und am nächstenTag frisch und mit klarem Geist in seinem Büro im Kongreß, im Ministerium oder im Regierungspalast sitzen und den Sekretären seine juristischen Gutachten diktieren oder sich mit blumiger Rhetorik über politische, gesetzgeberische, wirtschaftliche und verfassungsrechtliche Themen auslassen. Außerdem schrieb er Gedichte, Akrosticha zu festlichen Anlässen, Artikel und Bücher zu geschichtlichen Themen und besaß eine der spitzesten Federn, die Trujillo einsetzte, um im Öffentlichen Forum, in El Caribe, Gift zu verspritzen. »Wie laufen die Dinge.«
»Sehr schlecht, Chef.« Der Senator Chirinos holte Luft. »Wenn es so weitergeht, werden sie bald den Zustand der Agonie erreichen. Tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Sie bezahlen mich nicht, damit ich Sie täusche. Wenn die Sanktionen nicht bald aufgehoben werden, kommt es zur Katastrophe.«
Er öffnete seine vollgestopfte Aktentasche, holte Papierrollen und Notizbücher hervor und setzte zu einer Analyse der wichtigsten Unternehmen an, angefangen bei den Plantagen der Dominikanischen Zuckergesellschaft, über die Dominikanische Fluggesellschaft, die Zementindustrie, die Holzindustrie und die Sägewerke, die Import- und Exportbüros bis hin zu den Handelseinrichtungen. Die Musik der Namen und Zahlen lullte den Generalissimus ein, der nur halb zuhörte: Adas Comercial, Caribbean Motors, Dominikanische Batterienfabrik, Dominikanisches Baumwollkonsortium, Dominikanische Farben, Dominikanische Immobiliengesellschaft, Dominikanische Mühlen, Dominikanische Sackwaren und Textilien, Dominikanische Schallplattenfabrik, Dominikanische Zementfabrik, Eisenwarenhandel El Marino, Eisenwarenhandel Read, Fabrik für Pflanzenöle, Fabrik für Säcke und Seilwerk, Großhandel für Haushaltssalz, Industrieanlage Dominikanische Schuhe, Industriebetrieb Domínico Suiza, Industriekomplex Milchprodukte, Industriekomplex Schokolade, Likörbrennerei Altagracia, Quisqueya Motors, San Rafael-Versicherung, Salzraffinerie, Staatliche Glasindustrie, Staatliche Papierindustrie, Tabak-Aktiengesellschaft, Tageszeitung El Caribe, Vulkanisierbetrieb. Den Abschluß machte der Lebende Dreck mit den Geschäften, an denen die Familie Trujillo eine minoritäre Beteiligung besaß, wobei er nur erwähnte, daß es auch dort keine »positive Bewegung« gebe. Er sagte nichts, was der Wohltäter nicht gewußt hätte: was nicht durch den Mangel an Zulieferprodukten und Ersatzteilen lahmgelegt war, arbeitete mit einem Drittel oder sogar einem Zehntel seiner Kapazität. Die Katastrophe war bereits da und in was für einem Ausmaß. Aber
wenigstens hatten die Gringos nicht geschafft – der
Wohltäter atmete auf-, was sie für den Gnadenstoß gehalten hatten: ihm die Vorsorgung mit Erdöl sowie mit Ersatzteilen für Autos und Flugzeuge abzuschneiden. Johnny Abbes García hatte es so einzurichten gewußt, daß der Brennstoff über Haiti, als Schmuggelware über die Grenze, ins
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