Das Fest
Tür ihrer Kabine gerüttelt und sie damit zu Tode erschreckt. Sie hatte irgendetwas gerufen, woran sie sich später nicht mehr erinnern konnte, war instinktiv hochgezuckt und hatte sich dabei den Kopf gestoßen.
Auch dafür hatte sie Luther die Schuld gegeben. Allerdings hatte sein Gelächter nicht gerade zu ihrer Besänftigung beigetragen.
Es dauerte nicht lange, bis Luther zu träumen begann — von der Island Princess mit ihren vier Swimmingpools, von sonnengebräunten, wohlgeformten Körpern in Liegestühlen, von den weißen Sandstränden auf Jamaika und Grand Cayman. Er trieb in den warmen, sanften Wellen der Karibik.
Ein Summton weckte ihn. Seine zweiundzwanzig Minuten waren um. Drei Bestrahlungen, und Luther konnte in dem klapprigen Spiegel an der Wand langsam eine Veränderung erkennen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand aus dem Büro eine Bemerkung über seine Bräune fallen lassen würde. Alle seine Kollegen beneideten ihn.
Als er sich auf den Rückweg machte — die Haut noch warm, der Bauch nach einer weiteren ausgefallenen Mahlzeit extrem flach —, setzte Schneeregen ein.
* * *
Luther ertappte sich dabei, dass ihm vor der Heimkehr graute. Alles war wunderbar, bis er in die Hemlock Street einbog. Becker von nebenan hängte gerade noch mehr Lichterketten in seine Sträucher und aus lauter Gehässigkeit auch in die kleine Hecke, die seinen Rasen zu Luthers Garage hin abgrenzte. Bei den Trogdons wurde man von einem solchen Lichtermeer geblendet, dass Luther gar nicht genau sagen konnte, ob Wes ebenfalls noch weiter aufrüstete. Aber er vermutete es. Gegenüber von Luthers Haus ließ sich Walt Scheel jeden Tag eine neue Dekoration einfallen — und das, wo er im Jahr zuvor kaum ein mageres Lichtlein aufgeboten hatte.
Und nun war offenbar auch bei Swade Kerr im Haus rechts neben den Kranks die Weihnachtsstimmung ausgebrochen, denn er wand brandneue, rot-grün blinkende Lichter um seine dürren Buchsbäumchen. Die Kerrs schickten ihre Kinder nicht zur Schule, sondern unterrichteten sie selbst und hielten die Brut meistens im Keller unter Verschluss. Sie weigerten sich, wählen zu gehen, trieben Yoga, aßen nur Gemüse, trugen im Winter Sandalen mit dicken Socken, übten keinerlei Beruf aus und behaupteten von sich, Atheisten zu sein. Mit anderen Worten: allzu sehr auf der Müsli-Schiene, aber keine schlechten Nachbarn. Swades Frau Shirley, natürlich Trägerin eines Doppelnamens, verfügte über ein Treuhandvermögen.
»Sie haben mich umzingelt«, murmelte Luther, stellte das Auto in die Garage, spurtete ins Haus und schloss die Tür hinter sich ab. Nach einem Küsschen auf die Wange und dem obligatorischen »Wie war dein Tag?« kam Nora stirnrunzelnd zur Sache. »Guck dir die hier mal an.«
Zwei pastellfarbene Briefumschläge — es war vollkommen klar, was darin steckte. »Was ist denn nun schon wieder?«, schnappte Luther. Weihnachtskarten mit geheuchelten guten Wünschen waren wirklich das Letzte, was er jetzt sehen wollte. Er wollte etwas zu essen — an diesem Abend würde es gebackener Fisch mit gedünstetem Gemüse sein.
Luther zog die Karten aus den Umschlägen. Auf beiden prangte ein Frosty. Keine Unterschrift, kein Absender.
Anonyme Weihnachtskarten.
»Sehr witzig«, sagte er und warf sie auf den Tisch.
»Ich dachte mir, dass sie dir gefallen würden. Der Poststempel stammt hier aus der Stadt.«
»Das geht auf Frohmeyers Konto«, brummte Luther und riss sich die Krawatte vom Hals. »Der liebt doch solche Streiche.«
Als Nora und Luther noch beim Essen saßen, klingelte es an der Haustür. Ein paar große Bissen — und Luthers Teller wäre bereits leer gewesen, aber Nora hatte ihm immer wieder gepredigt, langsam zu essen und gründlich zu kauen. Immer noch hungrig erhob er sich und murmelte etwas in der Art, wer das denn nun schon wieder sein könne.
Der Feuerwehrmann hieß Kistler, der Sanitäter Kendall. Beide waren jung, schlank und ausgezeichnet in Form, da sie unzählige Stunden damit verbrachten, in der Feuerwache Gewichte zu stemmen — zweifelsohne auf Kosten der Steuerzahler, dachte Luther, während er sie in den Flur bat. Ein weiteres alljährliches Ritual, ein weiteres hervorragendes Beispiel für all das, was mit Weihnachten nicht stimmte.
Kistlers Uniform war marineblau, Kendalls olivgrün. Keine von beiden passte farblich zu den rot-weißen Mützen, die sich die Männer übergestülpt hatten — aber wen interessierte das schon? Obwohl die Mützen niedlich und
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