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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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Pole, die mit ihm durch den großen Saal und die Treppe hinauf zu Lucretias Gemach gingen.
    Die Erzieherin und der Schreiber fühlten sich offenbar zueinander hingezogen. Ihre Begrüßung war so förmlich wie eh und je, doch John merkte, dass hinter seinem Rücken Blicke getauscht wurden. Aus dem Augenwinkel sah er das eine oder andere verstohlene Lächeln. Ihre Bemerkungen wurden immer gezierter. An dem Tag, an dem Mistress Pole eine winzige Locke aus ihrer strengen Frisur herausblitzen ließ, räusperte sich Mister Fanshawe.
    »Mistress Pole. Darf ich Sie um ein Wort im Vertrauen bitten?«
    Die Erzieherin und der Oberschreiber des Haushalts traten einige Schritte in den Gang hinaus. Dort führten sie ein Gespräch im Flüsterton. Danach kehrten sie zurück und nahmen wieder ihre Position links und rechts neben John ein.
    Auch am Tag darauf zogen sie sich zurück, diesmal noch mehr außer Hörweite. Und bald führten ihre Rendezvous sie den Gang entlang und die halbe Treppe hinunter. Zuletzt erreichten nur noch leise Echos halberstickten Kicherns das Zimmer.

    John stand wie eine Schildwache im Zimmer. Seine Arme schmerzten. Er atmete zunehmend schwer. Er stellte sich mit dem Servierbrett an der Tür auf und zählte die Sekunden bis zu seiner Erlösung, während Lucretia vor ihrem Wandspiegel saß und so tat, als nähte sie.
    Er hätte es Pouncey verraten sollen, wie Philip ihm geraten hatte; diesen Vorwurf machte er sich im Verlauf der Tage immer wieder. Er hätte das Brotstück wie eine Trophäe hochhalten sollen. Diese Gelegenheit war vorbei. Warum sollte er Skrupel haben, sie zu verraten, die sie so bereitwillig seine Verfolger auf ihn gehetzt hatte? Er war ein Narr gewesen oder noch Schlimmeres als ein Narr. Und eines Tages, als er mit seinem Servierbrett und einem Gericht aus Hackfleisch und Salaten vor ihr stand, dessen Grünzeug in sich zusammenfiel und dessen Sauce eine dicke, glanzlose Haut bekam, brach Lucretia das Schweigen.
    »Ihr habt ihnen nichts gesagt.«
    Ihre Worte kamen so unerwartet, dass er zusammenschrak. Lucretia sah von ihrer Näharbeit auf; ihr blasses Gesicht war im Spiegel sichtbar. Sie blickte zu dem Bett, unter dem der Kanten Schwarzbrot gelegen hatte.
    »Ihr hättet Mister Pouncey Bescheid sagen können. Ihr hättet Eure Belohnung erhalten können.«
    John warf einen Blick über die Schulter in den Gang.
    »Sie können nichts hören«, sagte Lucretia.
    »Man hat mir keine Belohnung angeboten«, sagte John.
    Sie schnaubte verächtlich. »Ihr seid deren Werkzeug.«
    »Ich bin Koch«, antwortete er. »Euer Ladyschaft.«
    »Wahrhaftig?« Ihre Stimme klang geringschätzig.
    »Ich bin Euer Koch.«
    »Das glaube ich Euch nicht.«
    John spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. »Dann werde ich es beweisen«, sagte er verärgert. »Euer Ladyschaft.«
    Lucretia schnaubte abermals und widmete sich wieder mit Nachdruck ihrer Stickerei.

    Am nächsten Tag inspizierte Pole das Essen auf dem Servierbrett und runzelte die Stirn.
    »Ist diese Speise nicht zu gewöhnlich für Ihre Ladyschaft?«
    John setzte eine erstaunte Miene auf. »Ich dachte mir, gerade das könnte den Appetit Ihrer Ladyschaft wecken.«
    »Oder zu grob?«, setzte Pole nach.
    »Die Schlichtheit macht ihren Reiz aus, Mistress Pole. Wir unten in der Küche fanden sie immer ausnehmend schmackhaft.«
    Ein Laib Schwarzbrot lag auf dem Servierbrett. Zweifelnd blickte Mistress Pole auf den dunkelbraunen Klotz. »Wohlan denn.« Der Schlüssel knirschte im Schloss. John, Pole und Fanshawe traten ein. Lucretia saß an ihrem Toilettentisch und ignorierte sie. Diesmal dauerte es keine Minute, bis Mister Fanshawe um »ein Wort« bat. John lauschte, bis sie außer Hörweite waren.
    »Schwarzbrot, Euer Ladyschaft.« Er wartete. »Und ein Ragout.«
    Lucretia sah auf. »Ein Ragout?« Sie beäugte den Brotlaib.
    »Ein Rinderragout«, sagte John. »Mit milden Kräutern und Klößchen.«
    Ein Hauch von Neugier milderte Lucretias arrogantes Gehabe.
    »Was für ein ... Ragout?«
    John stellte das Servierbrett auf den Tisch und öffnete behutsam die Brotkruste, unter der eine Pastete aus Roggenteig zum Vorschein kam. Die Pastete hob er aus ihrer Hülle und stach mit einem Löffel hinein. Aromatischer Dampf stieg auf. Heiße dunkle Säfte flossen heraus, um mürbe Stücke dunklen Fleischs herum. Der Duft des Ragouts hing in der Luft. Lucretia blickte gebannt auf die schimmernde Sauce. Dann sah sie zu John.
    »Was ist das für ein

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