Das Festmahl des John Saturnall
trinken, begriff er, und er bemühte sich, jedes Zeichen von Triumph aus seiner Miene zu verbannen. Seine Aufgabe an einem einzigen Tag erfüllt! Er sah, wie Lucretia sich abwendete und mit dem Fuß etwas unter ihrem Bett hervorholte, etwas, was auf den Dielen scharrte. Eine Schüssel.
Ein Nachttopf.
Im nächsten Augenblick erriet er ihre Absicht. Er trat einen Schritt vor, doch sie war zu schnell für ihn. Mit einer gewandten Armbewegung drehte sie die Schale um und leerte die dunkelbraune Brühe aus. Erschrocken sah John, wie der dampfende Strahl in den Nachttopf platschte und den Boden ringsum bespritzte. Dann herrschte kurz Stille.
»Ungezogenes Mädchen!«, rief Pole.
»Miss Lucretia!«, zeterte Fanshawe. »Wie könnt Ihr nur!«
Entsetzt sah John auf sein Werk. Lucretia wendete ihr triumphierendes Gesicht Mister Pouncey zu.
»Denkt Ihr, ich würde um einer Schale Suppe willen meine Meinung ändern? Kein Tropfen wird meine Lippen berühren. Sagt das meinem Vater. Kein Krumen.«
John blieb es überlassen, den Nachttopf wegzunehmen. Als er in der Suppenpfütze kniete, lenkten verstreute Krümel seinen Blick unter das Bett. Im Schatten machte er dort einen Gegenstand aus. Ein Stück Brot, nachlässig in ein Tuch gewickelt. Als Johns Augen sich an das Halbdämmer gewöhnten, musste er insgeheim lächeln. Ein halb gegessener Kanten Schwarzbrot. Lady Lucys Fasten war also schon beendet. Hatte wahrscheinlich nie begonnen. Er stand auf.
»Kein Krumen?«, sagte er leise.
Lucretia erstarrte. Zwei dunkle Flecken malten sich auf ihren Wangen.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Mister Pounceys näselnde Stimme.
Er musste seine Entdeckung nur publik machen. Er musste nur laut rufen, wie sie es getan hatte ... Aber als er Luft holte, um zu sprechen, veränderte sich Lucretias Gesichtsausdruck. Ihr hochmütiger Blick wurde unsicher. Ein Ausdruck, den John wiedererkannte, huschte über ihr Gesicht. Für einen Augenblick war er wieder mit ihr in der Sonnengalerie, vereint in der Furcht, in der Falle zu sitzen.
»Nun?«, fragte der Haushofmeister.
»Nichts, Mister Pouncey, Sir«, hörte John sich antworten. Sein Triumphgefühl hatte sich verflüchtigt, war einer verwirrenden Gehemmtheit gewichen.
»Ich dachte an ein anderes Gericht, Sir. Eines, das mehr nach dem Geschmack Ihrer Ladyschaft sein könnte.«
»Warum?«, fragte Philip. »Wenn sie isst, dann fastet sie nicht, oder? Warum hast du es ihnen nicht gesagt?«
»Was hätte ich davon?«, sagte John wegwerfend. »Ein Stück Brot unter dem Bett. Außerdem hätten sie gewusst, dass deine Gemma es ihr gebracht hat.«
Er klopfte Philip scherzhaft auf den Rücken.
»Wenn Lady Lucy sich den Bauch vollschlägt«, sagte Phineas, »dann wird sie nicht essen, was du für sie kochst.«
»Das hängt davon ab, was ich koche«, antwortete John lächelnd. »Oder?«
Aber Lucretia aß weder das Konfekt mit gesüßter Sahne, das er am Tag darauf servierte, noch die gewürzte Molke mit Erdbeeren, die er als Nächstes brachte. Jeden Tag inspizierte Pole an der Tür das Servierbrett. Jeden Tag stand John vor Lucretia im Zimmer, den Blick abgewendet, und das Schweigen zwischen ihm, der Erzieherin, dem Oberschreiber und Lucretia wurde immer lastender, während auf dem Servierbrett, das er hielt, die Kreation des Tages kalt wurde oder zusammenfiel oder gerann.
Lucretia schaute aus dem Fenster oder machte sich an ihrem Toilettentisch zu schaffen oder heuchelte Interesse an ihrer Stickarbeit und
fabrizierte eine Reihe schiefer Stiche. Nach einer Stunde, die sich wie eine kleine Ewigkeit anfühlte, schmerzten Johns Arme, und sein Magen knurrte, wenn die Glocke, die das Ende der Mahlzeit verkündete, ihn erlöste und in die Küche zurück entließ.
»Haferschleim und Schleimsuppen«, schlug Henry Palewick vor. »Das hat Master Scovell für sie gekocht, als sie klein war. Aber sie hat nichts davon angerührt.«
»Weizenbrei mit Zucker«, erklärte Alf kennerhaft. »Oder Früchte in Sirup. Oder Brühe. Hat meine Schwester immer gemacht.«
Gedünstete Scheiben Wildbret wurden gebracht und unberührt weggetragen. Ein Fischhaschee und ein Wackelpudding mit Rosinen, Honig und Safran wurden verschmäht. Ein Tag glich dem anderen. Wenn Mistress Gardiner John begleitete, dachte er an ihren prüfenden Blick in Scovells Gemach, an die Worte über eine »Elster«. Aber die Stille in den unvertrauten Gängen lähmte ihm die Zunge, und außerdem waren es inzwischen meistens Fanshawe und
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