Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
Vom Netzwerk:
Nicht die geringste Schwäche. Lucretias Stiefel knirschten auf den Scherben der zerbrochenen Glassscheiben. Sie stieg die Treppe zum Turm hinauf.
    Das Standbild des ersten Fremantle thronte dort oben, blickte durch die hohen gewölbten Öffnungen und wachte über das Tal. Das also war der Urheber des Gelöbnisses der Fremantle, dachte sie. Er sah aus, wie sie ihn sich immer vorgestellt hatte, sein Äußeres von Wind und Regen abgenutzt. Sie deutete auf die Worte, die in den flachen Stein vor ihm eingeschnitten waren, und las sie dem blonden Mann vor.
    »Es sei keiner Frau gestattet, Feuer im Herd zu entzünden oder die Feuer im Tal zu schüren oder Nahrung zu geben, so es ihr nicht geboten wurde, oder im Tal zu herrschen oder zwanzig Morgen Landes Grundbesitz ihr Eigen zu nennen oder Gefolgsleute oder Bedienstete zu halten ...«
    »Das ist unser Gelöbnis, Oberst Marpot«, sagte sie zu dem Mann, der sie mit dem Blick seiner blauen Augen zu durchbohren schien. »Unser erster Vorfahr kämpfte für Gott.«
    Er beugte sich so nah her, dass sie seinen Speichel auf ihrem Gesicht spürte.
    »Ihr haltet mich für einen Narren.«
    »Nein, Oberst.«
    Es war eine alte Geschichte, hatte sie immer gedacht. Doch die blauen Augen des Mannes hatten sich zu Schlitzen verengt, als er das Standbild ansah, als würde er in dem abgeschliffenen steinernen Gesicht etwas wiedererkennen. Dann drehte er sich um und blickte über das Tal. Fern am Horizont sah Lucretia den dunkeln Saum eines Waldes.
    »Wohlan«, sagte Marpot schließlich. »Ihr werdet die Demut üben, deren Eva entriet. Wir werden Buckland von allem Tand befreien. Die
Haut entblößen, um die Seele zu entblößen, wie der Herr Adam und Eva entblößt hat. Ich werde einen Pastor bei Euch lassen, um Euch zu leiten.«
    Lucretia nickte unterwürfig. »Wir in Buckland werden sein heilsames Wirken begrüßen.«
    Marpots diebische Milizionäre hatten ihre Speisekammern geleert und die Pferde aus den Stallungen entführt. Seine greinenden Weiber hatten ihre Psalmen auf dem Rasen gesungen. Pater Yapp war geflohen. An seiner statt war Ephraim Clough gekommen.
    »Adam und Eva waren nackt«, verkündete der schwarzgewandete junge Mann laut schnaufend und mit hervorquellenden Augen, als sie zum ersten Mal zusammen beteten. »So nackt wie die Neugeborenen.«
    Sie begegnete seinem Blick unbeeindruckt.
    »Aber wir sind keine Neugeborenen, nicht wahr, Pater Clough?«
    Er scharwenzelte um sie herum, während sie zu beten vorgab. Sie hörte sein Schnaufen hinter ihr. Hinterher machte sie ihn zu Gemmas Ergötzen nach, und beide lagen lachend auf dem Bett. Aber er wagte es nicht, sie zu berühren. Sie hüllte sich in den Anschein von Bußfertigkeit und verbarg ihre Ängste und ihr Verlangen tief in ihrem Inneren, wo niemand sie erkennen konnte. Niemand aus dem Haushalt. Marpot nicht. Clough nicht. Niemand, beruhigte sie sich, würde ihre Rüstung durchdringen. Doch dann war John Saturnall zurückgekehrt.
    Wie bezeichnend, dass er mit der Schöpfkelle an den Kupferkessel schlug, um seine Rückkehr zu verkünden. Als wäre das Kommen eines Kochs würdig, mit Fanfaren und Hosiannarufen begrüßt zu werden! Als stünden sein Konfekt und seine Delikatessen, die dampfenden Ragouts und gedämpften Fische, die er zubereitet hatte, um den nagenden Hunger in ihrem Magen zu besänftigen, oder der Bratapfel in seinem Teich kühler süßer Sahne ... als stünden solche Leckerbissen für Siege und Eroberungen. Ihr Herz klopfte vor Ingrimm, als sie zur Küche hinunterstapfte. Und als er in dem Gang vor Mister Pounceys Gemächern versucht hatte, sie in die Arme zu nehmen, hatte sie ihn zurückgewiesen.

    Charnley Hall war bis auf die Grundfesten niedergebrannt, hatte sie sich ermahnt, als er sich von ihr abgewendet hatte. Und in Forham war kein Stein auf dem anderen geblieben. Aber Buckland hatte nichts zu befürchten.
    Cloughs tölpelhaftes Werben bot ihr Schutz. Lucretia kniete mit ihm in der Kapelle. Sie hörte ihm zu, wie er sich durch seine Traktate mühte. Er würde sie alle aus ihrer Verirrung führen, sagte sie zu ihm. Sie würden Marpots neues Eden zusammen betreten, sagte er begierig, und seine dicke graue Zunge bewegte sich ungeschlacht in seinem Mund. Doch dann war der Tölpel unerklärlich findig geworden, hatte Mistress Poles Röcke gehoben und ihr die Binden von den Knien gerissen.
    »Ihr habt mich für einen Narren gehalten«, zischte er Lucretia ins Ohr, als sie an jenem Sonntag auf den

Weitere Kostenlose Bücher