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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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Kieselsteinen kniete. »Aber ich werde Euch beweisen, dass Ephraim Clough kein Narr ist.«
    Seine Augen traten heraus wie bei ihrer ersten Begegnung. Doch seine Scheu war gewichen.
    »Ich werde Oberst Marpot Mitteilung machen. Lady Lucretia ist nicht die reuige Seele, als die sie ihm erschien. Das Gutshaus von Buckland verdient kein besseres Los als Charnley oder Forham.« Sein Gesicht kam ihrem unangenehm nahe. »Soll ich das tun, Lady Lucretia?«
    Lucretia erstarrte angesichts seiner Dreistigkeit.
    »Nein.«
    »Dann beweist Eure Bußfertigkeit.«
    Lucretia biss die Zähne zusammen. »Ich bin bußfertig, Pastor Clough.«
    »Beweist es mir.«
    Sie blickte ratlos auf.
    »Entkleidet euch bis aufs Hemd.«
    Sie erwiderte seinen Blick lange. Aber Ephraims Cloughs hervorquellende Augen starrten sie unverwandt an. Vergiss deinen Stolz, sagte sie sich, während sie ihre widerstrebenden Hände zum Rücken führte. Verleugne deine Ängste und dein Verlangen, während sie ihre Finger
zwang, die Schnüre ihres Korsetts zu fassen. Sie löste die Schleifen, die Gemma am Morgen gebunden hatte. Sie zwang ihre Beine, aus ihren Röcken zu treten. Die abgetragene Baumwolle ihres Hemds war dünn genug, um ihre flachen Brüste und die hervorstehenden Hüftknochen zu verraten. Als sein Blick über ihren Körper wanderte, war ihr zumute, als würde vor Scham eine Ader in ihrem Kopf platzen.
    »Gut«, schnaufte Clough hinter ihr. »Sehr gut.«
    Ihre schmerzenden Knie waren eine willkommene Ablenkung. Doch als die Minuten vergingen, ertaubten ihre Beine allmählich. Auch ihre Scham würde schwinden, sagte sie sich. Eva hatte sich sündhaft verhüllt. Nun würde Lucretia tugendhaft entkleidet sein. Das war ihr Los, von der Vorsehung auserwählt. Das war ihr Eden.
    Doch mit jeder Woche, die sie in ihrem Hemd zitterte, flohen ihre Gedanken weiter weg von Clough und der Kapelle. Statt der nackten Wände erträumte sich ihr Geist die sanften Hügel und sonnenbeschienen Wiesen, auf denen ihre Hirten und Prinzen gewandelt waren. Wenn sie auf den Steinen kniete, stellte sie sich vor, dass deren Hände sie in Gewänder aus weicher Wolle kleideten oder bernsteinbestückte Gürtel um ihre Taille legten. Statt Cloughs säuerlichem Schweiß roch sie Sahne und den würzigen Duft von gebackenen Äpfeln, die ihre Süße preisgaben. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie das weiche Fleisch, von der kalten Sahne durchzogen, fast schmecken. Sie konnte die Wärme seines Atems fast spüren. In der eisigkalten Kapelle war John Saturnalls Gesicht wieder ganz nah vor ihrem Gesicht.
    Danach humpelte sie hinaus. Sie scherzte nicht mehr mit Gemma, wenn diese ihre geröteten Finger und Knie massierte. Am Tag des heiligen Andreas führte Lucretia ihren Haushalt unter düsteren grauen Wolken in die Kapelle; ihr Atem dampfte in der eisigen Luft. Die verhasste Stimme leierte sich durch die Bibelverse. Und dann war sie wieder mit Clough allein. Sie hörte seine Füße auf den Steinen knirschen. Sie spürte seinen Atem.
    »Bald werde ich Euch für den Winter verlassen müssen, Lady Lucretia.« Seine Stimme klang ihr misstönend in den Ohren. »Und deshalb
habe ich über Eure Buße nachgedacht. Bevor ich gehe. Ihr müsst Euch noch weiter demütigen.«
    »Noch weiter, Pastor Clough?«
    Zur Antwort riss er an ihrem Hemd.
    »Legt es ab.«
    Für einen Augenblick war sie wie erstarrt. Das konnte nicht sein Ernst sein. Es war undenkbar. Doch er wartete. Er wollte es tatsächlich. Sie konnte es tun, sagte sie sich. Sie konnte den dünnen Stoff abstreifen und sich vor ihm entkleiden. Eva war in ihrem Garten nackt gewesen. Sie würde hier nackt sein. Es hätte nichts zu bedeuten. Doch als sie den Baumwollstoff berührte, war ihr, als verhärteten sich die kahlen Wände und der Fußboden. Cloughs Gesicht mit den dicken Augenbrauen näherte sich lüstern ihrem Gesicht, und heißer Zorn stieg in ihr auf, wütender Widerstand gegen ihr fruchtloses Eden und seinen grobschlächtigen Herrscher.
    »Nein!«, schrie sie und holte mit der Faust aus. Sie spürte, wie ihre Knöchel seine Wange trafen.
    »Ihr wollt mich besudeln«, rief sie, als er taumelnd zurückwich. »Du dreckige Zoyland-Krähe!«
    Ein rasendes Vergnügen übermannte Lucretia. Sie holte wieder aus und spürte, wie ihre Faust auf sein schwammiges Fleisch traf. Clough stöhnte grunzend. Doch beim nächsten Schlag hielt er ihr Handgelenk fest.
    »Du Hure.«
    Seine Stimme war fühllos. Und er war stärker, als sie gedacht hätte.

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