Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
Vom Netzwerk:
gegeben hatte. Sie brachte dich zur Welt aus Liebe zu mir und um das Tal zu sichern. Ich habe ihr versprochen, dich zu umsorgen.«
    Während er sprach, sah Lucretia sein Gesicht den Ausdruck annehmen, an den sie sich aus der Sonnengalerie erinnerte. Nun begriff sie,
dass es Unsicherheit war. Als könnte er sein Geschick nicht begreifen. Er trat zu ihr, und seine schweren Glieder schienen den ganzen Raum auszufüllen. Er setzte sich ihr gegenüber. Dann wurde ihr Staunen zu Verblüffung. Ihr Vater ergriff ihre Hände.
    »Dieses Versprechen habe ich nicht gehalten«, sagte er. »Ich habe dich vernachlässigt, Lucretia.« Er schwieg für einen Augenblick. »Verzeih mir.«
    Seine Hände drückten ihre Hände, als wollten sie Kraft von ihr erlangen. Lucretia entsann sich des Augenblicks im Schlafgemach ihrer Mutter, als sie versucht gewesen war, auf ihn zuzugehen. »Wenn Ihr mich darum bittet, will ich verzeihen«, sagte sie betreten.
    Er ließ ihre Hände los, doch sie spürte seinen Händedruck noch immer.
    »Es ist mir ein Anliegen, dass zwischen uns von nun an kein Hader mehr besteht«, sagte ihr Vater. »Denn es gibt noch mehr zu sagen. Ich habe Nachrichten erhalten. Ich bin zu den Waffen gerufen, und nur die Vorsehung kann sagen, wer lebendig zurückkommen wird und wer auf dem Feld bleiben wird. Ach, meine Tochter, ein neuer Kummer steht dir bevor. Ich fürchte, du musst dein Hochzeitsgewand gegen eine Rüstung eintauschen.«
    »Eine Rüstung, Vater?«
    »Es wird morgen keine Hochzeit geben, Lucretia.«
    Sie spürte, wie ihr Puls zu rasen begann. Es war ihr ein bleibendes Rätsel, wie es ihr gelang, sich ihr Frohlocken nicht ansehen zu lassen. Die großen Hände ihres Vaters ergriffen wieder ihre Hände.
    »Der König hat seine Streitmacht aufgestellt«, sagte er. »Nun muss ich dich um ein Versprechen bitte, meine Tochter. Das Versprechen, dass du deiner Mutter Wunsch und meinen Wunsch zu erfüllen suchen wirst.«
    Deiner Mutter Wunsch  ... In diesem Augenblick hätte sie ihm alles Denkbare und alles Undenkbare versprochen.
    »Wie, Vater?«
    »Versprich, dass du Buckland erhalten wirst ...«

     
    Sie hatte es versprochen. Sie hatte ihm nachgeblickt, als er seinem Trupp vorausgeritten war. Sie hatte mit dem Schnupftuch Piers nachgewinkt. Doch als die Männer wegmarschierten, war ihr Blick zum Ende der Kolonne und zu den Männern in roter Livree geschweift, die hinter einem großen Wagen gingen, auf dem sich die Utensilien der Feldküche von Buckland türmten. Unter den jungen Leuten ganz hinten hatte sie ihn an den dunklen Locken ausgemacht, die unter seiner Mütze hervorquollen. Er hatte zu ihr zurückgeblickt, und sie hatte ihr Gesicht hinter dem gefalteten Schnupftuch verborgen.
    Der Krieg war ihre Atempause, dachte sie sich. Der Haushalt würde ihre Miliz sein. Schürze und Schlüsselbund wären ihre Rüstung. Doch der Haushalt hatte gegen Marpot und seine Rohlinge nichts ausrichten können. Nachdem sie sich Zugang erzwungen hatten, waren sie durch die Flure und Zimmer des Gutshauses gestürmt und hatten alles gestohlen, was ihnen in die Hände fiel. Sie hatten Mister Pouncey gewaltsam hinausgeschleift und ihn mit den Ruten traktiert, bis er um ein Feuer herumtanzte, das sie aus seinen Papieren entzündet hatten. Aus der Kapelle erklang das Grölen der Soldaten, durchsetzt von den Angstschreien Pater Yapps. Sie schleppten den Priester zu ihrem blutbefleckten Richtblock. Ihr blonder Oberst saß reglos auf seinem Pferd. Dann war Lucretias Erstarrung gewichen. Sie hatte sich nach vorne gekämpft.
    »Wie könnt Ihr Euch anmaßen, meinen Bediensteten zu misshandeln!«
    Die blauen Augen des Mannes hatten sie ausdruckslos angestarrt. Sie hatte erwartet, dass ihr Protest ungehört verhallen würde. Doch dann sprach der Mann.
    »Einstmals hat sich eine Hexe in diesem Tal versteckt«, sagte er salbungsvoll. »Sie versteckte sich unter Evas Töchtern. Sie versprühte ihre Verderbtheit, wie ein Trunkener Speichel absondert ...«
    Das waren die Predigten der Krähen aus Zoyland, dachte sie. Und dann kamen ihr die Worte ihres Vaters wieder in den Sinn. Ihr Vermächtnis. Sie nahm den demütigsten Ton an, der ihr zur Verfügung stand.

    »Oberst Marpot, das haben wir Fremantles immer gewusst.«
    Sie durfte keine Furcht zeigen, ermahnte sie sich, als sie ihn in die Kapelle führte. Er durfte nichts sehen als Demut und Glaubensstärke. Das war ihr wahre Rüstung. Diese Rüstung durfte nicht die geringste Lücke offenbaren.

Weitere Kostenlose Bücher