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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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der Hexe ein Fest bereitet. Ihr habt Gott gelästert. Wie Adam, als er den Apfel von Eva nahm. Ihr habt sie hergebracht. Und sie hat mir meine Mary genommen.«
    Mercys Beschuldigung löste unter den Dörflern leises Murren aus.
    »Unsinn«, sagte Eliza Fenton. »Das Bier ist für Sankt Clod. Weiter nichts.«
    Dann hörte John eine leise Stimme hinter sich.
    »Das Kind war krank.« Er drehte sich um und sah die alte Connie Cullender. »Mercy hätte sie zu deiner Ma bringen müssen. Stattdessen hat sie die da drüben für sie beten lassen.« Mit einer Kopfbewegung deutete sie zu den Bibelschülern.
    Es kam zu Handgreiflichkeiten. John sah, wie Lee Fisheroake Jasper Riverett anzurempeln versuchte. Jasper lachte nur, und Lees Gesicht rötete sich noch mehr. Ephraim Cloughs Miene verfinsterte sich, doch er blieb neben seinem Vater stehen. John versuchte Cassie zu entdecken und erblickte statt ihrer Abel. Der Junge stand mit unglücklichem Gesichtsausdruck zwischen Jake und Mercy. Als einer von Cloughs Männern mit ihnen zusammenstieß, schien eine Schlägerei unausweichlich zu sein. In diesem Augenblick kam Tom Hob hergeschlendert, als wäre er ganz zufällig auf die Versammelten gestoßen.
    »Buccla war keine Hexe«, sagte der hünenhafte Mann. »Sie hat alles angebaut, was grün ist, hat mein Gramps immer gesagt. Talauf, talab.« Der Obstgärtner sah sich leutselig um. »Deshalb heißt das Land Buckland. Bucclas Land, versteht ihr? Und Sankt Clod war Coldcloak. Hüter des Waldes, heißt das in etwa. Er kannte die ganzen alten Geschichten, mein Gramps. Und sie hat ihn nicht verhext. Unser Sankt Clod hat
sich in sie verliebt. Deshalb hat er ihretwegen diese Tränen vergossen. Es gibt noch mehr Geschichten ...«
    Doch bevor Tom weitersprechen konnte, hatte Marpot sich vorgedrängt.
    »Schluss jetzt mit diesem Unsinn! Die einzige wahre Geschichte steht in diesem Buch!« Er stand da und hielt die Bibel hoch. »Gottes Strafe ist hart«, sagte er, und seine blauen Augen blickten herausfordernd und einschüchternd in die Runde. »Genau wie Bruder Lee gesagt hat. Gott hat Hexen auf die Welt gesandt, um die Menschen mit ihrer Verruchtheit in Versuchung zu führen. Er hat eine hierher gesandt.«
    »Das war vor langer Zeit«, setzte Jasper an.
    »Für eine Hexe gibt es keine Zeit. Sie ist so alt wie Eva.« Marpot ließ seinen Arm niedersausen, als wäre seine Bibel eine Axt, mit der er einen Schlag führte. »So muss man mit ihr verfahren. Wie es der gute Heilige getan hat. Mit Axt und Fackel.«
    Seine Bibelschüler nickten. Die Dörfler starrten sie an. Hinten in der Menge sah John Cassie. Mit verzückter Miene blickte sie zu Marpot auf. Im selben Augenblick spürte John ein Jucken in seiner Nase. Feuchtes Heu, dachte er. Oder der morgendliche Dunst, der über der Wiese lag. Er spürte einen Rippenstoß. Abel stand neben ihm.
    »Schau.«
    Abel blickte empor, und John folgte seinem Blick. Mit zurückgelegtem Kopf merkten sie, dass die Dörfler um sie herum ebenfalls zum Himmel blickten, und dann blickten alle empor, unversehens vereint durch die dunklen Wolken, die oben dahineilten.
    »Dem Herrn sei Dank«, erklärte Lee Huxtable. »Regen.«
    Während er sprach, fielen die ersten dicken Tropfen.
     
    Es regnete drei Tage lang ununterbrochen. Der Regen floss in Strömen über den ausgedörrten Erdboden, umschloss die Kirche und wirbelte die Schädelknochen in dem Armengrab durcheinander. Wasserfluten unterspülten den Weg am Haus der Starlings und gurgelten die Gasse hinter den Häusern hinunter. Schlammiges Wasser füllte den alten
Brunnen bis zum Rand. Und am Tag darauf geschah das Gleiche mit dem neuen Brunnen.
    In der Hütte roch es nach feuchter Wolle, modriger Erde und Rauch. John wich den Tropfen aus, die durch das undichte Strohdach fielen. Er lief nach draußen, um Scheite von dem Holzstoß hinter der Hütte zu holen, und stapelte sie am Feuer, damit sie trockneten. Johns Mutter hustete über ihrem Kessel; langsam und sachte ließ sie den Kochlöffel kreisen. Als John seine Aufgaben erledigt hatte, kauerte er sich mit dem Buch in eine Ecke.
    Kalte Regentropfen trafen seinen Rücken. John blinzelte, bis das schwache Licht, das durch die Tücher vor den Fenstern hereindrang, schwand und er sich Baumstämme vorstellte, die aufragten, grüne Schösslinge, die emporwuchsen, bis er Flügel in der Luft flattern und Füße im Gras rascheln hörte. Dann lag er im Dunkeln auf dem feuchten Strohsack und starrte zu dem tropfenden

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