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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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deutete. Ein Kirchturm, dachte John. Er wendete sich zu seiner Mutter. »Was ist das?«, fragte er.
    »Das Gutshaus von Buckland«, antwortete sie kurz angebunden.
    »Wo Sir William wohnt?«
    »So wird es wohl sein. Niemand hat ihn seit elf Jahren außerhalb seines Hauses gesehen.«
    Elf Jahre, staunte John. Seine ganze Lebensspanne. »Nie?«
    »Drinnen haben ihn auch nicht viele gesehen. Er verbietet seinen Bediensteten, ihn anzusehen, habe ich gehört.«
    John blickte wieder zu dem Haus hinüber; sein Blick bewegte sich über die Fensterbrüstungen und Dachrinnen, als könnte er des ungreifbaren Sir William habhaft werden. Doch es waren so viele ferne Fenster und winzige Dächer. Wieder ein Geheimnis, dachte er. Er drehte sich um und wollte seine Mutter nach einer Erklärung fragen, aber sie hatte sich bereits auf den Heimweg gemacht.
    Als sie den Abhang hinunterstiegen, sah John Cassies leuchtendweiße
Haube die Wiese überqueren und in dem Buchenhain verschwinden. Dann erregte eine andere Bewegung seine Aufmerksamkeit. Auf dem Zwei-Morgen-Feld warf eine winzige Gestalt mit unsichtbaren Steinen nach der Vogelscheuche der Huxtables. John musste grinsen. Der Meistersteinwerfer von Buckland übte wieder.
     
    Sie übten inzwischen gemeinsam. Jeden Sonntag nach dem Gottesdienst standen John und Abel neben dem neuen Brunnen und zielten mit Steinen auf den alten. Sie warfen ihre Geschosse schnell und waagerecht, sodass sie mit einem Knall gegen das bröckelige Mauerwerk trafen, oder sie warfen Kiesel in hohem Bogen, damit sie in dem alten Eimer landeten.
    »Halte den Ellbogen hoch«, unterwies der blonde Junge John. »Und wirf ganz locker aus dem Handgelenk. So.«
    Er hielt Johns Arm in der gewünschten Stellung. Cassie, die hinter ihnen im verdorrten Gras saß, zählte Treffer und Fehltreffer laut mit, verspottete oder ermutigte die beiden, je nach Laune. »Zielst du auf die Kirche, John? Oder sollte der bis nach Flitwick fliegen?«
    John errötete unter den spitzen oder lobenden Worten des Mädchens. Abel verdrehte die Augen. Aus dem alten Brunnen stieg der Geruch feuchter Leichentücher, an den John sich erinnerte, als hätten ihre Würfe das dunkle Wasser unten aufgewirbelt. Wenn die Sonne höher stieg, begaben sie sich in den Schatten und zielten auf Sankt Clods Tränen, warfen ihre Geschosse in flachem Bogen, um die Stellen kahlen Bodens zu treffen. John sammelte Steine, warf und blickte sich verstohlen nach Cassie um, die ihre Haube abnahm oder ihren Beinen mit dem braunen Stoff ihres Kleids Luft zufächelte.
    Sie warfen, bis ihre Arme schmerzten, und dann gesellten sie sich zu Seth, Tobit und Dando. Wenn es allzu heiß wurde, gingen sie zusammen den hinteren Weg entlang, um das Zwei-Morgen-Feld herum und schlichen auf Johns Geheimweg durch die Hecke. Sie spritzten sich Wasser aus der Viehtränke in den Mund oder sich gegenseitig nass oder suchten Erholung im Schatten der Buchen. John saß zwischen Abel und Cassie
und tauschte mit dem Mädchen verstohlene Blicke, während Abel und die anderen schwatzten. Das Gerede umwölkte sie, als umhüllte das Dorf sie mit einem Umhang aus Wörtern: die braunen Flaschen, die der alte Holy nach Mariä Verkündigung von dem Packpferdetreiber kaufte, oder was Maddy Oddbone mit einem Mann aus Flitwick widerfahren war oder wie John Lambe sich zuletzt mit Ginny versöhnt hatte ...
    Nur Ephraims Anwesenheit störte Johns Seelenfrieden. Der ältere Junge war wie ein drohender Schatten, verdrehte die Augen, wenn John etwas zu sagen wagte, und warf ihm spöttische Blicke zu. Doch mittlerweile zuckten die anderen Kinder die Achseln oder taten so, als hätten sie nichts gesehen. Abel schüttelte den Kopf, und Cassie kaute an ihrem schwarz verfärbten Nagel. Warum, fragte sich John, heilte der Nagel nie? So vergingen die Nachmittage. Dann erklang Marpots Glocke, und John sah zu, wie Cassie sich erhob, ihre Haube aufsetzte und unter dem Kinn festband.
    Die Bibelschüler trugen dunkle Jacken oder Umschlagtücher, schwarze Röcke oder Kniehosen ohne Schnallen und ohne Knöpfe. Jeden Sonntagnachmittag versammelten sie sich auf das Erklingen ihres Signals hin in dem langen niedrigen Bauernhaus am Ende des Dorfangers: die Chaffinges, die Verwandten von Jim, Eliza und Ephraim Clough, die Fisheroakes und die meisten der Fentons, Mercy Starling und Cassie und die Übrigen. Hinter den dunklen hölzernen Schlagläden knieten die Frömmler und sangen Psalmen und hörten zu, wie Marpot predigte und

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