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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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Strohdach hinauf. Er hörte, wie seine Mutter im Kessel rührte und hustete.
    Sie würde ihn lehren, hatte sie versprochen. Und die Pflanzungen in dem Buch würden ihm verraten, warum er letzten Endes hierher gehörte ... So hatte sie gesagt. Doch nun hatte er fast das ganze Abc gelernt, wie sie es verlangt hatte, und dennoch wusste er kaum mehr als zuvor. Sein Unwissen war sogar noch gewachsen, schwellend wie die Früchte an den unbekannten Bäumen. Wer hatte einst die Abhänge bepflanzt? Es gab keine Buccla, hatte seine Mutter gesagt. Es gab keine Hexe. Was auf all den stockfleckigen Seiten des Buchs sollte John Sandall ein Recht auf mehr verleihen als auf den feuchten Erdboden unter ihm und die kargen Wände der Hütte?
    Er lauschte dem eintönigen Trommeln des Regens und spürte, wie sein Missmut sich wieder regte. Ephraims Worte beschäftigten ihn immer noch. Du gehörst nicht hierher, Hexensohn. Du hättest nie zurückkommen dürfen ...
    Der Regenguss hörte so abrupt auf, wie er begonnen hatte. Die Sonne kam heraus, und das Dorf dampfte. Pater Hole hielt seinen üblichen Sermon nach Regenfällen.

    »Da tat Noah das Dach von der Arche«, verkündete der weißhaarige Priester, der sein Stundenglas vor einer halb leeren Kirche umdrehte, »und sah, dass der Erdboden trocken war.«
    »Wurde auch höchste Zeit«, rief ein rotgesichtiger Tom Hob. Jasper Riverett neben ihm lachte. John hielt unter den Kirchenbesuchern nach Abel und Cassie Ausschau, doch der Junge und das Mädchen waren nicht anwesend. Ebensowenig ihre Eltern. Nach dem Gottesdienst wartete er wie immer am Brunnen. Schließlich kamen Dando und die anderen herbei.
    »Abel ist krank«, sagte Dando zu John.
    »Krank?«
    »Ich hab nur gehört, dass er krank ist«, erwiderte Dando. »Morgen geht es ihm sicher besser, so Gott will.«
    Doch am nächsten Morgen hatte Abel Fieber. Und am Tag darauf begann er sich zu übergeben.

    Der Strom schwoll zu einem Fluss, dessen Mäander den Weg berührten und dann wieder über Sumpfwiesen und Felder davoneilten. Im Westen ragte Zoyland Tor aus den Nebeln der Tiefebene und versank wieder, wenn der Weg abwärts führte. Vor ihnen dräute ein Haufen Ruinen.
    »Das ist Old Toue«, sagte Josh. »Was davon übrig ist.«
    Die eingefallenen Mauern hatten sie bald hinter sich gelassen. Bei Ruseley kam der Fluss wieder zum Vorschein, dann erreichten sie Middle Ock mit seiner baufälligen Kapelle, dann Fainwick, und danach ging es nach Rinton hinauf. Hinter Low Halling nickte Josh dem Maultier mit dem Jungen zu. »Wolltest du ihn nicht zum Sprechen bringen?«
    Widerwillig wartete Ben Martin, bis das Maultier ihn erreichte. An diesem Tag hinkte es mit dem linken Bein, wie ihm auffiel. Josh hatte ihm erklärt, dass das Bein wechselte, je nach Laune des Tiers. »Wir sprachen gerade vom Schulunterricht«, nahm er den Faden wieder auf. »Weißt du, wie man Warenverzeichnisse führt, John Sandall? Das war
mein erstes Pech. Das oder der Weg, der mich von Soughton weggeführt hat ...«
    Der Junge fuhr sich mit schwarzgeränderten Nägeln durch sein verfilztes Haar. Seine Miene verriet weder Interesse noch Überraschung. Sein Hemd und seine Hose waren kaum mehr als Lumpen, dachte Ben. Der blaue Überrock mochte einst ansehnlich gewesen sein, nahm er an, bevor der Regen die Farbe ausgebleicht und der Schmutz sie ersetzt hatte.
    »Du hast sicher schon von Soughton gehört, oder?«, fuhr Ben unverdrossen fort. »Siehst du den Ort da oben? Stell dir drei solcher Ortschaften zusammen vor.«
    Sie näherten sich Carrboro. Der Junge hob den Blick und senkte wieder den Kopf. Dann trotteten die Pferde zwischen Fachwerkhäusern hindurch, deren Obergeschosse über die Straße hingen. Sie überquerten den Marktplatz und kamen an der massigen, düsteren Kathedrale vorbei. In dem Hof hinter der Kirche hatte sich eine Reihe graugesichtiger Halbwüchsiger in verblichenen Kitteln eingefunden. Ein Büttel schwenkte einen Stock und brüllte Befehle. Wie ein Ochse am Spieß, dachte Ben. Josh und Ben wechselten einen Blick.
    »Das ist das Armenhaus«, sagte Josh über die Schulter. »Da willst du nicht enden, Ben, oder?«
    »Ganz gewiss nicht«, erwiderte Ben. »Meinst du nicht auch, John Sandall?«
    Der Junge sah die zerlumpten Kinder ausdruckslos an.
    Die Häuser wurden zu Häuschen und dann zu Hütten. Am Stadtrand wies Ben auf einen Gasthof, doch Josh schüttelte den Kopf. Die Pferde trabten hinter ihrem Treiber her, mit schaukelnden Lasten und

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